Den Weltraum im Blickfeld
Ein Auto von dreien fährt mit Komponenten, die in Südtirol hergestellt sind. Eine Reise zu den Akteuren von Südtirols Automotive-Branche, die Dreiviertel des Exports Südtirols generiert und noch Großes vorhat.
Wussten Sie, dass in jedem dritten Auto weltweit mindestens ein Bestandteil aus Südtirol eingebaut ist? Wie das möglich ist? Ganz einfach: Ein Blick auf die Zahlen der erweiterten Südtiroler Automobilbranche, des sogenannten Ecosystem Automotive, genügt: 16.700 Angestellte in 857 Betrieben. Das sind zwei Prozent der in Südtirol tägigen Unternehmen. Sie erzeugen jedoch über die Hälfte der Exportwaren Südtirols (2015). Auch insgesamt 56,6 Prozent der Mittel, die Südtirols 40.000 Unternehmen in Forschungsprojekte investieren, fließen in Innovationen dieses Sektors. Dieses Ecosystem Automotive, wie es auch bei uns genannt wird, umfasst die gesamte Produktionskette der Automobilbranche und jene der Aufstiegsanlagen samt Zulieferern. Dazu zählen beispielsweise auch Hersteller von chemischen Substanzen, die in der Produktion von Kunststoffteilen benötigt werden. Ein Beispiel dazu ist die Firma Röchling mit weltweit fast 10.000 Mitarbeitern, die in Leifers eines ihrer vier Entwicklungszentren (neben Worms/Deutschland, Troy/USA und Kunshan/China) betreibt. Auch die beiden Bozner Start-ups Tratter Engineering und Alpitronic, die beide im Tis (heute IDM) angesiedelt sind, zählen zu dieser Branche. Tratter Engineering designt und stellt Gussformen für Kunststoffteile für die Automobilbranche her, Alpitronic entwickelt hingegen Leistungselektronik – darunter versteht man hochinnovative elektronische Systeme, beispielsweise für mehr Energieeffizienz. Zur Produktionskette gehören auch Hersteller von Rohmetall wie Acciaierie Valbruna in Bozen, der Spezialstahl für die Automobilindustrie fertigt. Oder Verarbeiter von Metallen, wie die Bozner Firma Stahlbau Pichler, die unter anderem die Fassade für das Ferrari Logistic Building an der Rennstrecke in Fiorano (Provinz Modena) und das Museum Enzo Ferrari im Geburtshaus des Rennstallgründers errichtet hat. Zur Branche zählt auch Alupress in Brixen, die Bestandteile und innovative Systeme in Aluminium-Druckguss herstellt. Zum Ecosystem zählen schließlich Produzenten von IT- oder elektronischen Systemen wie das Unternehmen Microgate in Bozen, dessen Eigentümer der frühere Skirennläufers Vinicio Biasi ist. Sein Betrieb hatte zunächst Zeitmessgeräte für Sportveranstaltungen entwickelt. Mittlerweile hat sich die Tochtergesellschaft Micro Photon Devices– in enger Zusammenarbeit mit der technischen Universität Politecnico in Mailand – auf die Herstellung von Instrumenten der Photonentechnologie spezialisiert. Mit deren Produkten (wie etwa Spiegel für Teleskope) arbeiten die US-Amerikanische Raumfahrtbehörde NASA, der PC- und Druckerhersteller Hewlett-Packard oder der Biotechnologie- und Pharmakonzern Novartis. Nicht zuletzt zählen auch die elektronischen Produkte von Leitwind und Ewo zu diesem Sektor.
Den Löwenanteil der Wirtschaftskraft in dieser Branche stellen jedoch jene Betriebe, die Fahrzeuge und Gerätschaften an sich produzieren. Dazu zählen auch die Spezialisten der alpinen Technologien, wie Leitner und Prinoth, aber auch die österreichische Doppelmayr, die in Lana ihre italienische Niederlassung führt, und Technoalpin. Das Herz dieses Sektors stellen etwa 20 Hersteller von Bestandteilen für Automobile sowie von fertigen Fahrzeugen dar, wie etwa Iveco Defence Vehicles, die zur italo-amerikanischen CNH Industrial gehört und am Standort Bozen mit seinen etwa 850 Mitarbeitern konstant in Forschung und Entwicklung investiert. Das Ecosystem Automotive nutzt die Möglichkeiten der Mechatronik, das Zusammenspiel von Mechanik, Elektronik und Informatik im Produktionsprozess. Es setzt zudem bewusst auf die smart mobility, jene nachhaltige Mobilität, die Südtirols Ruf als italienisches Zentrum der green economy auch im Bereich der Industrie stärken soll.
Das trifft beispielsweise für das Unternehmen Intercable aus Bruneck zu, das vor allem Sicherheitswerkzeuge entwickelt und herstellt, aber auch Kabelschutzsysteme oder technische Kunststoff- und Metallteile für die Automobilindustrie. In den 1970ern als Familienunternehmen entstanden, das Elektromaterial vertrieb, entwickelte sich Intercable zu einem Industriebetrieb, der Werkzeuge für Elektriker produziert. Die isolierte Zange etwa zählt inzwischen zur Standardausrüstung eines Handwerkers. Heute umfasst das Unternehmen 750 Mitarbeiter, davon 400 unmittelbar aus Bruneck und Umgebung. Weitere 350 sind auf die übrigen elf Standorte in der gesamten Welt verteilt. Das Durchschnittsalter der Intercable-Belegschaft beträgt 34 Jahre – und ein Drittel des Teams ist weiblich. Der Stellenwert von Italcable lässt sich daran ablesen, dass das Unternehmen auch den US-amerikanischen Autohersteller Tesla beliefert. In dessen Model 3, einem elektrobetriebenen Kleinwagen, wird künftig auch ein Kabelsystem von Intercable mitfahren. Deutsche Präzision und italienische Kreativität: Diese Eigenschaften der Südtiroler Arbeitnehmer, kombiniert mit jener der Mehrsprachigkeit, werden von den Unternehmen im Automobilsektor weltweit geschätzt, erklärt Peter Oberparleiter, CEO der GKN Powder Metallurgy. Praktische Fähigkeiten und der Hang zum Konkreten, gepaart mit Mut und Vision, seien sicherlich weitere Gaben, die den Südtiroler Unternehmern und Arbeitnehmern einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Schließlich würden Oberparleiter zufolge multinationale Konzerne wie FCA, BMW, Land Rover, Jeep, Toyota, Renault, Ferrari und Citroen die Übertragungssysteme für die eigenen Fahrzeuge von GKN beziehen. Die Herstellung erfolgt mithilfe von innovativen, kollaborativen Robotern (collaborative robot, kurz Cobot). Die Geschichte der britischen Unternehmensgruppe GKN, die auf zirka 1.400 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von 400 Mio. Euro verweisen kann, begann im Jahr 1759 in Wales. Neun Gesellschafter entschieden sich am Vorabend der Industriellen Revolution dazu, das von der Schwerindustrie benötigte Metall zu bearbeiten. Heute betreibt dieses Weltunternehmen in Bruneck den Unternehmensbereich Driveline, der unter anderem Systeme zur Übertragung der Elektrizität für Hybrid- und Elektroautos entwickelt und fertigt. Wenige Kilometer weiter findet man in Welsberg die GKN Off-Highway Powertrain und in Sand in Taufers GKN Sinter Metalls, eine Abteilung der Powder Metallurgy.
„Deutsche Präzision und italienische Kreativität: Diese Eigenschaften der Südtiroler Arbeitnehmer, kombiniert mit jener der Mehrsprachigkeit, werden von den Unternehmen im Automobilsektor weltweit geschätzt.“ Peter Oberparleiter
Wie lautet das Rezept dafür, dass dieses Ecosystem wachsen kann, ohne dass die Betriebe sich gegenseitig bekämpfen oder gar vom Markt drängen? Die Antwort lautet Zusammenarbeit und Teambildung. Dies haben vier große Player dieser Branche umgesetzt, indem sie sich vernetzten, um ihre Kräfte zu bündeln. Es handelt sich um die insgesamt sechs Marken von vier Unternehmen Alupress, Autotest, Autotest Motorsport, GKN Driveline, GKN Sinter Metals und Intercable. Ihr Ziel lautet, gemeinsam für die Automobilindustrie hochtechnologische Lösungen in Form von Komponenten und Systemen zu entwickeln, speziell für die Weltmarktführer. Die Firmen, die Teil des Netzwerks Automotive Excellence Südtirol sind, erwirtschaften gemeinsam einen jährlichen Umsatz von 600 Millionen Euro, stellen 80 Prozent der Exportware und beschäftigen insgesamt 2.500 Personen, überwiegend im Raum Pustertal. Die spezialisierte, innovative Arbeitskraft ist es, was das selbstverwaltete Netzwerk auszeichnet. Schätzungen zufolge besteht für diese Branche allein in Südtirol ein jährlicher Bedarf an mindestens 200 weiteren Ingenieuren. An der Freien Universität Bozen (Unibz) schließen aber jährlich nur an die 20 Absolventen den Studiengang Ingenieuswesen ab, lediglich zwei oder drei davon bleiben in Südtirol. Daher hat das Netzwerk beschlossen, selbst etwas gegen den Mangel an Ingenieuren zu unternehmen. Es finanziert 15 Studienplätze an der Unibz, die ab Herbst 2018 technischen Talenten eine duale Ausbildung ermöglichen. Das vierjährige Studium des Studienzweiges „Automation in Industrie- und Maschineningenieurswesen“ umfasst auch einen praktischen Ausbildungsteil in einem der Netzwerkpartner. Nach dem ersten Studienjahr in den Hörsälen der Uni Bozen, erhalten die künftigen Ingenieure in den Folgejahren die Möglichkeit, ihr Wissen in ihrem Ausbildungsbetrieb in die Praxis umzusetzen. Dieses Förderprogramm allein reicht dem Netzwerk jedoch nicht aus: Der NOI Techpark in Bruneck, ein 26 Millionen Euro schweres Projekt, sieht die Umsetzung eines Automotive-Zentrums auf einer Fläche von 4.500 Quadratmetern vor und soll 2021 fertiggestellt sein. Darin wird auch ein von der Gemeinde geführtes Kongresszentrum für öffentliche Veranstaltungen für etwa 500 Personen untergebracht. Zudem sind Räumlichkeiten für die Unibz vorgesehen, speziell für die duale Ingenieursausbildung und die Tourismusfakultät. Vorgesehen sind zudem Werkstätten für die Bereiche Automation und Industrie 4.0, sprich die Digitalisierung der Produktionsabläufe, ebenso wie für den Leichtbau und andere Bereiche des Automobilsektors. Und schließlich wird es für Technologieunternehmen und Start-ups Büroräumlichkeiten und Co-Working-Spaces in unterschiedlichen Größen und Ausstattungen geben. Die dazugehörige Parkgarage mit insgesamt 470 Autostellplätzen wird dem NOI Techpark, aber auch der Gemeinde Bruneck zur Verfügung stehen. Ein wesentlicher Teil der Finanzierung dieses gesamten Projektes stammt aus Mitteln des italienischen Fonds für Entwicklung und Kohäsion (FSC).
„Der Technologiepark ist eine außergewöhnlich konkrete Antwort auf die Notwendigkeit, einen Treffpunkt für Klein- und Großbetriebe, Universität, junge Menschen, internationale Stakeholder und Talente zu schaffen, der so zu einem Multiplikator wird.“ Klaus Mutschlechner
Laut Klaus Mutschlechner, Geschäftsführer von Intercable und Präsident der Automotive Excellence Südtirol, ist der Hauptzweck des Brunecker Technologieparks jener, Betriebe und Arbeitsplätze im Automotive-Sektor im Pustertal für die Zukunft zu sichern. In dieser Industrie würden derzeit bahnbrechende Revolutionen und Neuerungen geschehen, welche von der E-Mobilität bis hin zu einer weitreichenden Digitalisierung reichen. „Der Technologiepark ist eine außergewöhnlich konkrete Antwort auf die Notwendigkeit, einen Treffpunkt für Klein- und Großbetriebe, Universität, junge Menschen, aber auch internationale Stakeholder und Talente zu schaffen, der so zu einem Multiplikator wird“, erklärte Mutschlechner bei der Vorstellung des Siegerprojektes des Brunecker NOI Techparks Ende Juli. Das Studio Kerschbaumer Pichler & Partner aus Brixen hatte sich beim EU-weiten Planungswettbewerb zum Bau des NOI Techpark in Bruneck gegen zehn weitere Projekte durchsetzen können. „Eine wichtige Aufgabe des Technologieparks wird es zudem sein, unseren Qualitäten und Fähigkeiten im Bereich Automotive Sichtbarkeit zu verleihen. Das stärkt zudem die Zusammenarbeit, jene zwischen den Partnern des Verbundes, aber auch jene mit den Nachbarregionen“, ergänzt Johannes Brunner, IDM-Koordinator für diesen Sektor. „Ein zweites, nicht minder wichtiges Ziel ist es, unsere Jugend gut für die künftigen Herausforderungen auszubilden.“ Auch neue Brücken sind schon geschlagen: hin zum Polo Meccatronica in Trient und der Associazione della Fabbrica Intelligente aus der Lombardei, zum Automobil- und Mechatronik-Cluster in Bayern und den Pendants in Oberösterreich, Steiermark und Tirol, dem Chemie Cluster Bayern bis hin zu Technologieparks wie der Kilometro Rosso in Bergamo, jene in Ljubljana/Laibach oder in Zürich. Aber auch weit über dieses Netzwerk hinaus, nämlich in Richtung Weltraum, blicken die Südtiroler Unternehmen dieser Branche – sie sind bereit, sich auf das Unbekannte einzulassen. Die Weltraumtechnologie ist nämlich einer der Forschungs- und Entwicklungsbereiche der GKN; GKN Aerospace Engineering Services mit Sitz in Großbritannien ist bereits in diesem Bereich tätig. Ebenso das Unternehmen Elektrisola mit Sitz in Mühlen in Taufers: Sein Kupferlackdraht ist in vielen Satelliten zu finden. Und Microgate war beispielsweise an der Herstellung des weltweit größten Teleskops beteiligt. Es klingt also nicht abwegig, dass das nächste Experimentierfeld dieses sich ständig weiterentwickelnden Automotive-Sektors der Weltraum sein könnte. Es würde immerhin die Tradition des bedeutenden Südtiroler Astronomen und Raketenbaupioniers Max Valier weiterführen, der ab 1928 die ersten raketenbetriebenen Fahrzeuge entwickelte. Und wer weiß, ob wir nicht eines Tages auch sagen können, dass jeder dritte Satellit, der im Weltall weit über der Erde kreist, mit mindestens einem Bestandteil aus Südtirol versehen ist.
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