#1 Innovation
Von Fehlern lernen, groß denken und gleichzeitig die eigenen Wurzeln ins Tun einfließen lassen: Dies ist der Grund, warum es Südtirolern gelingt, Hindernisse in Chancen umzuwandeln.

Wie wir wissen, soll Steve Jobs Unternehmen Apple in einer Garage in Los Altos in Kalifornien entstanden sein. Auf dieser Seite der Erde, andererseits, im Südtirol der 30er-Jahre, entwickelten und bauten die Brixner Brüder Julius und Gilbert Durst in der aufgelassenen Bierbrauerei Seidner die fortschrittlichsten Fotoapparate, die es damals auf dem Markt gab. Entscheidend für den Markteinstieg mit der ersten Serienproduktion war die Zusammenarbeit mit den Bozner Brüdern Luis und Heiner Oberrauch, die aufgrund ihrer Rolle als Investoren die Führung des Unternehmens übernahmen. 1950 entstand Automatica, der erste vollautomatische Fotoapparat der Welt, für den Durst auch ein Patent anmeldete; das Produkt wurde allerdings in Folge an Agfa verkauft. Innovation nach Innovation prägten den Weg der Durst Phototechnik, die heute 700 Mitarbeitende in 120 Ländern beschäftigt – nach Jahrzehnten der Entwicklung und des Vertriebs von speziellen Druckern, arbeitet Durst heute an der Entwicklung des ersten „Fotoapparats“ für die 4D-Darstellung. Ob denn diese enorme Innovationskraft durch den Einsatz von Visionen entstehe, fragte LP den Präsidenten des Verwaltungsrates der Durst AG, Harald Oberrauch. „Entscheidend ist vielmehr die Akzeptanz von Fehlern, die als Teil eines Entwicklungsprozesses absolut natürlich sind“, erklärt Oberrauch. Seit 2014 setzt nunmehr der junge Unternehmer, wie schon vorher sein Vater Christof, auf die Entwicklung von Ideen und Innovationen. Dazu hat er zwischen Südtirol und Tirol ein Netzwerk von Business Angels entwickelt – Unternehmer und Manager, die auf Geschäftsideen in den Startlöchern setzen und darin investieren. So helfen die Business Angels neuen Start-up-Unternehmen auf die Beine und sorgen für wirtschaftliche Entwicklung und Beschäftigung, indem sie von der Basis aus starten. Die Philosophie der Fehlerakzeptanz hat zu Herstellungsprozessen geführt, die gänzlich digitalisiert sind und in denen Mensch und Maschine immer fortschrittlicher interagieren und einander ergänzen. Für die entsprechenden Investitionen nutzte das Unternehmen die staatliche Förderung namens Super-Ammortamento, die eine Abschreibung von Investitionsgütern ermöglicht, die über den Kaufpreis hinausgeht. Damit bezuschusst das Ministerium für die wirtschaftliche Entwicklung seit ein paar Jahren die Innovationen im gesamten Staatsgebiet. In Richtung Zukunft weist schließlich der neue Firmensitz von Durst in Brixen, der Anfang 2019 eröffnet werden soll. Neben den Büros für die Firmenleitung wird das Gebäude über ein Innovation Centre und einen modernen Showroom verfügen. „Wir setzen auf eine Lokalpolitik, die wirksame Strategien zur Stützung der Südtiroler Wirtschaft umsetzt; etwa eine Irap-Steuer, die zu den niedrigsten Sätzen Italiens zählt, oder die Fördermaßnahmen zugunsten von Produktivität und internationaler Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Oberrauch.

La nuova sede di Durst a Bressanone.

Mit dem neuen Unternehmenssitz von Durst, den das Bozner Architekturbüro Monovolume entworfen hat, dürfte das Eisacktal eine neue Landmark, sprich, ein architektonisches Wahrzeichen, erhalten. Dafür sorgen ein 35 Meter hoher Turm und eine Fassade mit 850 beleuchteten Fensterelementen, die so ineinander verwoben sind, dass sie an ein Pixel-Bild erinnern. Verwirklicht hat diese ein weiterer Brixner Meister der Innovation: Frener & Reifer. Der Brixner Fassadenspezialist hat für eine Reihe von internationalen Kunden aufsehenerregende Projekte umgesetzt. Das Unternehmen hat mit Architekten von internationalem Renommee wie Renzo Piano, Norman Foster und Zaha Hadid zusammengearbeitet. Auch die eigene Unternehmensentwicklung hat Frener & Reifer nicht dem Zufall überlassen: Die Strategie, um geniale Visionen in die Realität umzusetzen, besteht laut Angaben des Unternehmens in der umfassenden technisch-wissenschaftlichen Kompetenz der Mitarbeitenden. Schon 2011 hat Frener & Reifer am Projekt Build4future des Forschungsinstituts Fraunhofer Italia mitgewirkt. Die so entwickelte neue Software-Anwendung für das Baustellenmanagement kam etwa beim Bau des neuen Bozner Landeskrankenhauses zum Einsatz. Deren Ziel war es, die Komponenten des Gebäudes und die für deren Bau nötigen Ressourcen digital zu erfassen und darzustellen, um die Arbeiten für die nachfolgenden fünf Wochen optimal zu planen. „Wir haben das digitale Baustellenmanagement für weitere zwei Projekte eingesetzt, daher sind die Erfahrungswerte noch begrenzt, um die Applikation abschließend zu bewerten“, sagt Michael Reifer. Dennoch ließen sich die organisatorischen und finanziellen Vorteile der erhöhten Transparenz der Baustellentätigkeiten jetzt schon ausmachen. Der Innovation Manager von Frener & Reifer bezeichnet sich als Verfechter der Südtiroler Wirtschaftspolitik zugunsten der Innovationsentwicklung. Sie führe letztlich zu klaren Wettbewerbsvorteilen für die einheimischen Unternehmen. Der Brixner Fassadenbauer hat in den vergangenen Jahren für sein Projekt Innovation&Organization über seine Teilnahme an einem Landeswettbewerb einen Zuschuss erhalten. Zudem hat das Land Südtirol die Hälfte der Kosten für die weitere Informatisierung der Unternehmensprozesse erstattet (LG. Nr. 14/2006). Auch EU-Mittel haben Reifer zufolge zur weiteren Entwicklung des Unternehmens beigetragen: „Wir sind industrieller Partner im Interreg-Projekt Italien-Österreich namens Face Camp. Dieses wird von IDM, Eurac Research und Universität Innsbruck gemeinsam mit einigen einschlägigen, österreichischen Unternehmen vorangetrieben. Es zielt darauf ab, ein grenzübergreifendes Kompetenzzentrum für Fassadenhersteller aufzubauen“, ergänzt Reifer. Eine Verbindung von Forschungseinrichtungen und Unternehmen also, die eine erfreuliche Kettenreaktion auslöse. „Diese wiederum wirkt sich positiv auf Südtirol und seine Wirtschaft aus und erhält so den Zuspruch der lokalen Unternehmen“, lautet Reifers Fazit.

 

Immer in Brixen hat sich auch Microtec dafür entschieden, mit Forschungseinrichtungen zusammenzuarbeiten und dabei den Schritt über die Landesgrenzen hinaus zu wagen. So ist das Unternehmen als einziges aus Südtirol unter jenen 30, die sich am überregionalen Kompetenzzentrum SMACT beteiligt haben. Der Focus des Zentrums, das mit neun Universitäten in Norditalien, darunter Bozen, zusammenarbeitet, liegt in den Branchen Lebensmittel, Bekleidung, Einrichtung und Automatisierung; und es lehnt sich an das Programm Industria 4.0 des Ministeriums für die wirtschaftliche Entwicklung an. Und ebendieser technologische Transfer an kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) der Holzbranche ist es, der die Mission von Microtec ausmacht. Das Unternehmen stellt über einen digitalisierten Herstellungsprozess Maschinen her, die Holzstämme und -bretter scannen, sprich durchleuchten, um schon vor dem Sägevorgang die innere Beschaffenheit des Holzes auszumachen. Microtec ist Marktführer in dieser Branche und zählt kleine Sägewerke aber auch Größen wie Ikea zu seinen Kunden. Die digitale Transformation, so das Credo der Firma, muss für alle zugänglich sein. Das Unternehmen beschäftigt 150 Mitarbeitende in drei Niederlassungen und erreicht einen Jahresumsatz von etwa 30 Millionen Euro. Die Software Smart Mill, zum Beispiel, lässt sich als Optimierung der Produktionsvorgänge und der Arbeitsvorbereitung bezeichnen. LED-Beleuchtung, Stereoskopiekameras und WLAN-Verbindung, die über das gesamte Sägewerk verteilt sind, stellen das Eintrittsticket für die digitale Produktion eines Sägewerks 4.0 dar. „Früher war es der Sägemeister, der entschied, wie ein Stamm zu nutzen war“, erzählt Simon Schweigkofler, Marketingleiter bei Microtec. „Er begutachtete ihn, schloss daraus seine mögliche innere Beschaffenheit und Qualität, um ihn dann dem bestmöglichen Einsatz zuzuführen. Heute ermittelt ein Computertomograf blitzschnell mögliche innere Mängel eines Holzstammes und teilt diesen für eine dementsprechende Weiterverarbeitung ein, so dass sich die Mängel möglichst kaum auf das Endprodukt niederschlagen.“ Das beschriebene System analysiert 180 Laufmeter Holzstämme oder über 1000 Laufmeter Holzbretter pro Minute. Auf diese Weise kann ein Sägewerk von lediglich zwei Personen geführt werden. Die Technologie, die Microtec fürs Holz einsetzt, lässt sich auch auf die Lebensmittelverarbeitung übertragen, die ja ebenso zu den Spezialkompetenzen der Südtiroler Wirtschaft zählt. Ein Scanner von Biometric, ein Geschäftsbereich von Mictrotec, kann jetzt schon die äußere Qualität von Äpfeln, Avocados, Mangos, Zwiebeln, Pfirsichen, Nektarinen, Marillen, Datteln oder Oliven erfassen – bald soll sich ihm auch die innere Beschaffenheit der Frucht erschließen. Mehrere entsprechende Projekte laufen zurzeit; darin kommen unterschiedliche Technologien, wie Computertomografie und Magnetresonanz zum Einsatz. Technogische Entwicklungen, im Speziellen neue Produktionsabläufe und Qualitätskontrollen, kämen laut Microtec-Eigentümer Federico Giudiceandrea, der übrigens auch Präsident des Südtiroler Unternehmerverbandes ist, letztlich dem Endverbraucher zugute. „Um die innere Qualität über Magnetresonanz zu ermitteln, braucht es starke Magnete, die sich der Technologie der Supraleiter bedienen. Diese Entwicklung wird zu einem neuen Impuls für die Industrie der Lebensmittelverarbeitung führen“, sagt Giudiceandrea.

"Das Rezept, um das Potenzial der Innovationen zu nutzen, liegt in der Akzeptanz von Fehlern, die als Teil eines Entwicklungsprozesses absolut natürlich sind". Harald Oberrauch

Die Meraner Zipperle AG ist ein Beispiel dafür, wie technologische Anwendungen in der Lebensmittelverarbeitung außerordentliche Ergebnisse mit sich bringen. Das Unternehmen verarbeitet 31 Arten von Früchten. Es beschäftigt 175 Mitarbeitende sowie etwa 30 Saisonarbeiter und erzielt einen Jahresumsatz von 70 Millionen Euro; 85 Prozent davon stammen vom Export. Zipperle ist laut eigenen Angaben einer der größten Hersteller für Fruchtpüree in Europa, das dessen Kunden zu Kindernahrung, meist im Gläschen, weiterverarbeiten. Das Fassungsvermögen seiner Lagerstätten erreicht ein Volumen an Flüssigkeit, das doppelt so hoch ist wie jenes der gesamte Südtiroler Weinproduktion in einem Jahr. Zipperles Produktion verarbeitet täglich Früchte im Umfang von 120 Lkw-Ladungen. Wie das möglich ist? Nur über einen kontinuierlichen Innovationswillen, lautet die Antwort von Zipperle-Geschäftsführer Thomas Brandstätter. Seit der Firmengründung 1951 habe das Unternehmen in immer modernere Verarbeitungsmethoden investiert: etwa von der ersten hydraulischen Presse für den Apfelsaft in den 60er-Jahren über die Maschinen zur Pasteurisierung und jenen zur Herstellung von Fruchtpüree bis hin zu einer Anlage zur Energiegewinnung aus den organischen Abfällen. Die Investitionen hätten zunehmend zu einer Produktion 4.0 geführt. Finanziert hat Zipperle die jüngsten fünf Anlagen auch mithilfe der staatlichen Förderung Iper-Ammortamento, die dem Unternehmen Steuerersparnisse im Wert von 800.000 Euro gebracht haben. „Dutzende von Vorgängen sind heute zur Gänze automatisiert. Dank der engen Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten für Maschinen und den Forschern des Versuchszentrums Laimburg können wir unsere Produkte laufend weiterentwickeln und die Produktionsprozesse verbessern“, sagt Brandstätter.

 

Bevor die Nahrungsmittel den Tisch erreichen, müssen sie meist noch durch die Küche – aber auch die funktioniert zunehmend nach 4.0-Manier: Ambach, Hersteller für professionelle Küchen, ist seit 40 Jahren auf dem Markt und beschäftigt in seinem Sitz in Kaltern 80 Mitarbeitende. Sein Kundenservice kann über eine App die Funktionsfähigkeit von Küchen überwachen, die bei dessen Kunden installiert wurden – so etwa für eine Reihe Küchen, die in Hotels in Malaysia stehen. Sensoren kommunizieren mit dem System, so dass das Team im Firmensitz feststellen kann, ob etwa die Leistung der Herdplatte optimal eingesetzt wird oder ob die Mitarbeiter vor Ort noch Tipps brauchen, um die Geräte möglichst effizient zu nutzen. Solche Messsysteme, die über Internet von überall aus überwacht werden können, kommen auch bei anderen Südtiroler Unternehmen zum Einsatz. Das Bozner Unternehmen Niederstätter etwa, das auf diese Weise die Leistungsfähigkeit seiner Kräne und Maschinen auf allen Baustellen der Welt abrufen kann. Oder Demaclenko der Unternehmensgruppe Leitner: deren Tochter NeveXN in Trient produziert Schneekanonen, die über völlig automatisch funktionierende Remote-Control-Einheiten verfügen.

Früher war es der Sägemeister, der entschied, wie ein Stamm zu nutzen war. Heute ermittelt ein Computer blitzschnell mögliche innere Mängel eines Holzstammes

Produktionssysteme zu automatisieren kann die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens auch dann begünstigen, wenn dieses besonders viele Produkte im Angebot führt. Das gilt etwa für Zirkonzahn in Gais. Der findige Zahntechniker Enrico Steger aus Sand in Taufers gründete 2003 sein Unternehmen, um aus dem Mineral Zirkon mit dem von ihm entwickelten Zirkograph Produkte der Zahnprothetik für die Arbeit von Zahnärzten und vor allem Zahntechnikern herzustellen.  Heute produziert und/oder vertreibt das Unternehmen CNC-Fräsmaschinen, Scanner, auch 3D-, Zahnersatzkomponenten und hochwertige Instrumente für die Zahnprothetik. Dabei genießt die Präzision der Maschinen und damit der Produkte im Bereich von Tausendstel von Millimetern (1µ /Micron) höchste Priorität im Unternehmen. Wer einen Zahnersatz benötigt, weiß, wie unangenehm die kleinste Unregelmäßigkeit daran ist. Zirkonzahns Produktion ist mittlerweile in hohem Grade automatisiert. Auch dessen mehr als 15.000 Produkte werden digital verwaltet, 90 Prozent davon liefert das Pustertaler Unternehmen an Kunden in mehr als 100 Ländern weltweit. „Eine neue Software hat uns im vorigen Jahr ermöglicht, einen weiteren Schritt nach vorn zu machen“, sagt Geschäftsführer Julian Steger, der wie sein Vater Enrico gelernter Zahntechniker ist. „Sie integriert die Produktionsabläufe in unserer Software für die Unternehmenssteuerung und bildet somit das Unternehmen in all seinen Bereichen ab.“ Wenn etwa die Mindestlagermenge eines Produktes unterschritten wird, erzeugt das System einen Arbeitsauftrag, den es des Weiteren jener Maschine zuweist, die am besten dafür geeignet ist, das Produkt herzustellen. „Auf diese Weise werden die Lieferzeiten kürzer und Fehler in der Produktion minimiert“, erklärt Steger. Die virtuelle Kontrolle der Produktionsstätten sorge darüber hinaus für mehr Transparenz und erzeuge wichtige Prozess- und Unternehmensdaten, etwa über die Produktivität und die Qualität der Produkte. Während Zirkonzahn 2008 noch 50 Mitarbeitende zählte, sind es heute in den verschiedenen Niederlassungen rund 300: etwa in Spanien, Deutschland oder den USA. Wie kommt es, dass sich aus einer einfachen Idee heraus ein international tätiges Unternehmen entwickelt, sollte man sich fragen – und wie wird es dann sogar zu einem Vorzeigeunternehmen für Innovation in Unternehmensprozessen und Produkten? Für Zirkonzahn ist die Antwort klar: Die meisten Gewinne habe Zirkonzahn laut Steger in Forschung und Entwicklung reinvestiert, „um unser Unternehmen mit zukunftsweisenden und technologisch fortschrittlichen Instrumenten auszustatten“. Das Innovationsmanagement bei Zirkonzahn habe aber dennoch nicht das Bewusstsein um die eigene Tradition und Herkunft geschmälert. „Dieses findet sich in den Unternehmenswerten wieder und zudem bei einigen Produkten, die den Namen von Südtiroler Ortschaften tragen.“ Der Ort Prettau am Ende des Ahrntales etwa sieht sich im Markenzeichen Zirkon Prettau und in der Zahnbrücke Prettau Bridge verewigt.

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