Extremtrekking - im Stehen
Im NOI Techpark baut Eurac Research zwei revolutionäre Klimakammern. Menschen und Pflanzen können wochenlang darin (über-)leben.
In Bozen gibt es einen Ort, an dem Pflanzen wachsen, die ansonsten nur am Salten oberhalb von Bozen oder im Tibet auf einer Höhe von 4.000 Metern gedeihen. An diesem Ort können nämlich dieselben Voraussetzungen geschaffen werden, sowohl was Feuchtigkeit und Temperaturen betrifft, als auch im Hinblick auf zeitliche Dauer und Intensität des Tageslichtes. Das Ziel dieser Experimente ist es, die Auswirkungen des Klimawandels zu beobachten. Einige wenige Meter weiter kann jeder, der gut in Form ist, gemeinsam mit bis zu elf weiteren Gleichgesinnten die Erfahrung sammeln, wie es wäre, wenn man eine Woche in einem Basislager am Mount Everest verbringt. Dabei können die Forscher die äußeren Umstände auf bis zu 9.000 Höhenmeter anheben und Temperaturen und Wetterbedingungen entsprechend anpassen.
terraXcube, dieser außergewöhnliche, einzigartige Ort wurde von Eurac Research geplant und verwirklicht. Am 30. November wurde der Klimasimulator im NOI Techpark eröffnet. Gigantisch nicht in seiner räumlichen Dimension, sondern vielmehr wegen des innovativen Geistes, der das Projekt durchdringt. Umgesetzt wurde das Projekt mit Investitionsmitteln in Höhe von 4,5 Millionen Euro. Die Idee dazu sowie der größte Teil der Anlage ist „made in Südtirol“.
Noch im Sommer dieses Jahres war vom terraXcube lediglich ein Skelett zu sehen. Im Untergeschoss befindet sich der Small Cube, der Inkubator oder Brutkasten, der vor allem für die Tests im Bereich der Alpenflora verwendet wird und „nur“ Höhen bis zu 4.000 Metern simulieren kann. Er ist in vier kleinere, autonome Kammern gegliedert, die jeweils 27 Kubikmeter umfassen. „Die LEDs an der Raumdecke produzieren für die Pflanzen dasselbe Licht, wie diese es beispielsweise nachts in Jenesien zu einer bestimmten Jahreszeit erhalten“, erklärt Projektmanager Andrea Nollo.
Die riesige Eingangstür aus Metall wiegt über 500 Kilogramm und ist im Stande, einem Druck von vier Tonnen je Quadratmeter (was einer simulierten Meereshöhe von 4.000 m entspricht) standzuhalten. Im Gegensatz zu einer normalen Druckkammer (in Italien gibt es beispielsweise eine in Pratica di Mare, wo Militärpiloten Situationen mit Druckabfall und Sauerstoffmangel ausgesetzt werden), sind die Druckkammern im terraXcube auch klimatisch einstellbar. Das heißt, in den Kammern können Temperaturen von 40 Grad minus bis 60 Grad plus und das mit unterschiedlichen Wetterbedingungen nachgestellt werden.
Alle Simulationskammern, sowohl jene des Small Cube als auch des Large Cube, haben besondere Eigenschaften, um den Beton hermetisch abriegeln zu können. Unter den unsichtbaren Füßen des Konstrukts verlaufen enorme Elektrokabel, die insgesamt ein Megawatt Leistung transportieren können. Damit werden die unterschiedlichen Anlagen der zwei Cubes versorgt. Der Large Cube wurde „einfach“ auf das Dachgeschoss gesetzt und fand in einer besonderen Wanne Platz. Die Zwischenräume wurden mit einem besonderen Material gedämmt, um die Entstehung von Vibrationen zu verhindern, die sich auf das restliche Gebäude übertragen könnten.
Im Hauptkubus können Höhen von bis zu 9.000 Metern und Temperaturen des Polarkreises bis hin zu jenen in Wüstengegenden simuliert werden. Der Large Cube mit seinen 360 Kubikmetern ist in der Lage bis zu 15 Personen für 45 Tage aufzunehmen. Alternativ finden darin Gegenstände von bis zu 40 Tonnen Platz. Im Inneren des Large Cube können die Techniker die Lichtstärke quasi auf Null senken, um damit zum Beispiel den Tages- und Nachtlichtzyklus zu simulieren. Die Spezialfenster trennen dabei die Hauptkammer vom Kontrollraum, welcher über Tablet gesteuert werden kann. In einer Ecke ist es zudem möglich, eine Kletterwand einzubauen. Um die Testkammern oder den Small Cube zu betreten oder zu verlassen, ohne dabei einen Test unterbrechen zu müssen, wurde für jede Kammer eine Art Unterdruckkammer, ein sog. Airlock, vorgesehen. Dabei handelt es sich um einen Aufzug, der auf- und abfahren kann und dabei Räume in unterschiedlichen Höhen verbindet: Man steigt in den Airlock ein, verriegelt die Tür und nach acht Minuten Wartezeit verlässt man den Aufzug. Der Raum, in dem man sich anschließend befindet, hat einen Luftdruck, der einer Meereshöhe von 3.000 Metern entspricht.
Wozu aber wird der terraXcube konkret genutzt? „Eines der Hauptanwendungsfelder ist sicher der medizinische Bereich“, erklärt Christian Steurer, der Leiter des Projekts. „Defibrillatoren beispielsweise funktionieren unter normalen Umständen gut. Aber was passiert bei Außentemperaturen von 20 Plus- oder 40 Minusgraden? Dies ist einer der Versuche, die im Large Cube von einer Gruppe von Höhenmedizinern durchgeführt werden können. Dabei wird eine Vielzahl an Geräten getestet“, sagt Steurer. Am 30. November steht die Einweihung an, doch arbeitsbereit ist der terraXcube schon vorher.
In den ersten Arbeitsmonaten absolvieren noch keine Menschen Testreihen. Vorgesehen sind jedoch Tests mit Maschinen, einschließlich Großmaschinen, Industriemaschinen, Textilien, aber auch elektronische Geräte. „Bei Minustemperaturen schalten sich die meisten Smartphones aus. In der Testkammer kann man jedoch erproben, wie sich beispielsweise ein LCD-Bildschirm in großer Höhe verhält“, erklärt Steurer. „Nachdem wir eine einzigartige, neuartige Forschungsinfrastruktur sind, müssen wir eine lange Testphase durchlaufen und große Vorsicht walten lassen. Wenn eine simulierte Höhe von 5.000 Metern überschritten wird, muss immer ein Arzt anwesend sein. Wir müssen medizinische Notfall üben sowie proben, wie lange im Brandfall die Personenbergung dauert und ob nicht eine der Kammern aufgrund des geringeren Sauerstoffwertes ein sicherer Rückzugsort sein könnte“, berichtet terraXcube-Leiter Steurer.
In einem der ersten Projekte, die im terraXcube umgesetzt werden, spielen Drohnen eine wichtige Rolle. Das Projekt ist aus einer Zusammenarbeit zwischen Mavtec, einem Ableger der polytechnischen Hochschule Turin mit Sitz im NOI Techpark, und der Vahrner Firma Soleon entstanden. „Eine Drohne kann in einer Höhe von 400 Metern ein Gewicht von ca. 2 Kilo transportieren, auf 2.500 Metern Meereshöhe jedoch gelingt dies aufgrund des veränderten Luftdrucks nicht“, sagt Soleon-Geschäftsführer Michael Überbacher. Es gehe darum zu wissen, ob die Drohne bei höheren Temperaturen größere Lasten tragen kann oder ob sich im Falle von hoher Luftfeuchtigkeit und niedrigen Temperaturen Frost auf den Propellern bildet. In einer Einrichtung wie dem terraXcube sei es möglich, dies zu testen. „Dies ist für uns ein bedeutender Schritt in der Entwicklung unserer Geräte“, fasst Überbacher zusammen.
Voraussichtlich ab Ende 2019, sobald alle Sicherheitsparameter geprüft sind, kann mit der Simulation von Expeditionen auf den Mount Everest begonnen werden. Dabei wird an bis zu zwölf Testpersonen erprobt, wie es sich in klimatischen Extremsituationen lebt. Sie unterziehen sich dabei regelmäßigen medizinischen Kontrollen. Außerdem sollen Rettungseinsätze mit dem Hubschrauber in einer Höhe von 7.000 Metern simuliert werden, um damit Rettungsteams unter Realbedingungen zu trainieren.
Willst du mehr? Folge LP auf Facebook und Twitter oder erhalte deine Kopie direkt zu Hause!