Die eigene Haltung kultivieren
Im Burger Hof im Oberpustertal hat jüngst ein Zentrum für die sozialpädagogische Förderung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eröffnet. Es geht dort vor allem und ein besseres Miteinander über gemeinsames Tun.
Felix, ein Schüler der ersten Klasse des Realgymnasiums Bruneck ist begeistert: „Ich hätte mir nie erwartet, dass Schule außerhalb der Schule so anders sein kann, als jene Schule, die wir sonst kennen: viel motivierender und schöner, so inmitten der Natur!“ In den vergangenen drei Jahren hatte seine Mittelschullehrerin, Karin Sparber, ihre Klasse immer wieder in Projekte am Burger Hof involviert, als dieser sich noch im Umbau befand: Im ersten Jahr produzierte Felix‘ Klasse ein Video und eine Broschüre, welche die Geschichten der Menschen des Burger Hofs erzählten; im zweiten dokumentierten sie „das Handwerk auf der Stör“, alte Handwerke, die vor Ort beim Kunden ausgeführt wurden. In der zweiten Mittelschulklasse bekamen Felix und seine Mitschüler sogar die Möglichkeit, gemeinsam mit einer Architektin das Modell des neuen Dachbodens auszuarbeiten, nach welchem der heutige Schlafsaal für 25 Personen gebaut wurde. „Wir durften als erste Klasse im Schlafsaalübernachten und haben unsere Ideen überall im Raum wiedererkannt“, sagt Felix. „Das Vertrauen, das die Zuständigen uns entgegengebracht haben, hat uns sehr geprägt, uns Selbstsicherheit gegeben.“ Über das Präsentieren von Ergebnissen, zu dem die Schüler immer wieder angehalten waren, habe er das sichere, freie Reden erlernt. In seiner neuen Klasse an der Oberschule ist er Klassensprecher.
In St. Veit, einer kleinen Fraktion von Prags im Pustertal, steht auf 1500 Metern Meereshöhe der Burger Hof, ein Bauernhof, der „ganz besondere Lebens- und Lernerfahrungen ermöglicht“, wie es die Verantwortlichen des Hofes beschreiben. In den Projekten am Hof gehe es darum, zur Einfachheit zurückzufinden. „Einfach leben, praktisch arbeiten, natürlich lernen, w-erden“, lauten die Grundsätze der pädagogischen Arbeit am Hof.
„Es geht darum, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass es für uns selbst ein guter Tag wird.“ Alex Unteregger
Seit Oktober 2018 ist der frühere Bauernhof offiziell für Schüler, Lehrer und Eltern, aber auch für Familien und Gruppen oder Unternehmen offen, „die sich mit den Lebensthemen auseinandersetzen und ihre Haltung den Mitmenschen gegenüber kultivieren möchten“, sagt Alex Unteregger, der Leiter des Burger Hofs. Den Kindern und Jugendlichen Vertrauen entgegenbringen, wie es Felix bereits kennengelernt hat, sei für die Menschen am Burger Hof ein Prinzip, betont Unteregger. Über die gemeinsamen, schöpferischen Tätigkeiten am Hof und in der Natur verbessern die Teilnehmer ihr soziales Verhalten, ihre Kooperationsfähigkeit sowie ihre Kommunikations- und Konfliktkompetenzen; diese sind schließlich heute mehr denn je gefragt. „Es geht auch darum, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass es für einen selbst ein guter Tag wird“, gibt Unteregger zu bedenken.
Es handle sich hierbei aber nicht etwa um ein fertiges Konzept: „Dieses entsteht und formt sich im gemeinsamen Tun von Verantwortlichen und Menschen, die Zeit am Hof verbringen“, erklärt Unteregger. „Das ganze Potenzial eines Menschen kann sich nur dann entfalten, wenn Gemeinschaft erlebt wird.“ Der 31-jährige Brunecker Bildungswissenschaftler hat vor seinem Studium Metallfacharbeiter gelernt und anschließend eine Kunstoberschule und eine Ausbildung als Junglandwirt absolviert. Vielfältige Arbeitserfahrungen in der Förderung von Kindern, vor allem solcher mit Problemen, hat er in Australien gesammelt.
Gemeinsam mit einer Köchin und Haushälterin, mit Experten aus den verschiedensten Bereichen und zumeist einem Praktikanten oder einer Praktikantin betreut Alex Unteregger, die Gruppen. Diese können unterschiedliche sozialpädagogische Angebote des Hofes in Anspruch nehmen – entweder nur tagsüber, oder mit einer oder mehreren Übernachtungen.
Für besondere Themen werden ausgewählte Fachleute hinzugezogen: „Zusammen-Wachsen“ oder „Achte gebm“ (achtgeben) nennen sich zwei der besonders gefragten Angebote des Burger Hofs. Darin erleben Schulklassen, welchen Wert eine Gemeinschaft hat und wie diese zueinanderfindet. Sie üben sich in Achtsamkeit, übernehmen in Gruppen Aufgaben und Arbeiten am Hof, lernen Stress zu bewältigen, zur Ruhe zu kommen, zu meditieren. Begleitet werden sie von engagierten Lehrpersonen, die junge Menschen zum Lernen motivieren wollen. „Es sind Lehrpersonen, die bereit sind, sich auf eine tiefere Beziehung zu ihren Schülern einzulassen“, sagt Manuel Dimani, der im November als Schüler der vierten Klasse des sozialwissenschaftlichen Gymnasiums von Bruneck sein zweiwöchiges Betriebspraktikum am Burger Hof absolviert hat. Dimani hat erlebt, dass auch die Lehrer viel für sich mitnehmen: für ihre Unterrichtsmethoden, aber auch für die Wahrnehmung ihrer eigenen Person.
„Mit allen Sinnen begreifen, auch sich selbst“ – dies ist Dimani zufolge am Burger Hof möglich. Er hat sich über die Arbeit am Hof entfalten können, wie er erzählt. Während seiner Zeit „auf Burg“ hat er sich nicht wie ein Praktikant unter vielen gefühlt: „Alex hat zu mir eine persönliche Beziehung aufgebaut, was dazu geführt hat, dass wir auch nach dem Praktikum in Kontakt geblieben sind. Er hat mich beispielsweise kürzlich zu einer Meditation am Bach und zu einem Vollmondprogramm eingeladen, wo ich viele interessante Leute kennengelernt habe“, erzählt der junge Mann.
Die Zeit im Burger Hof soll Klassengemeinschaften zu stärken. Dieses spezifische Angebot wird mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) bezuschusst und soll Schulabbrüchen bei Jugendlichen vorbeugen, „die in der Schule ihre Potenziale nicht voll entfalten können“, wie es Alex Unteregger beschreibt. Handwerkliche Tätigkeiten und gezielte Übungen helfen dabei, das Lernen anders zu lernen – und positiv zu erleben. „Die Jugendlichen kommen bei uns zur Ruhe, erfahren in einer erdenden Umgebung, wohin es sie zieht“, erklärt der Leiter des Burger Hofs.
Ein Vater-Kind-Wochenende hingegen ist ein Beispiel eines nicht schulischen Angebots. Hier sind zehn Väter mit ihren Kindern in der Natur ganz füreinander da und bauen auf diese Weise eine stärkere Bindung auf. In den Sommerferien werden Schüler von einem zusätzlichen Team („KITS – Kinder im Traumsommer“) am Burger Hof in Erlebniswochen betreut.
Ebenfalls zu den Formaten des Burger Hofs, gehören Realprojekte, wie Alex Unteregger weiter erläutert: „Darin übernehmen Gruppen vollverantwortlich eine ganz spezifische Aufgabe, etwa den Bau eines Herbariums, eines Insektenhotels oder eines Bienenhauses. Ihr Wirken soll Spuren hinterlassen.“ Die drei Aufgaben von Felix‘ Klasse zählen auch zu den Realprojekten; den Werdegang ihrer drei Projekte haben sie jeweils in einer Broschüre dokumentiert.
„Für 2019 haben wir schon Ansuchen von 50 Schulklassen erhalten“, erzählt „Dies zeigt, dass die gesamte Schullandschaft auf dem Weg ist. Praktische Intelligenz, mentale Gesundheit und Verbindung zum Ursprünglichem, zur Natur rücken stärker ins Blickfeld“.
Interessierte Klassen aus dem Pustertal werden am Burger Hof prioritär aufgenommen zumal es in Südtirol noch andere, ähnliche Angebote gibt. Als Beispiele führt Unteregger die Erlebnisschule Langtaufers, den Vintlerhof in Brixen, das Haus der Familie am Ritten oder die Abenteuerschule im Ahrntal an, wenngleich nicht alle nach demselben Modell arbeiten.
Eigentümerin des Hofes ist die EOS Sozialgenossenschaft, die den Hof als Schenkung erhalten hat. „Die Investitionen in die Infrastruktur sind zum größten Teil vom Land Südtirol finanziert worden. Das laufende Angebot finanziert sich mit Zuschüssen der Deutschen Bildungsdirektion, des Europäischen Sozialfonds, aber auch von anderen Institutionen und Gönnern. Die Teilnehmer zahlen je nach Möglichkeit einen mehr oder weniger hohen Unkostenbeitrag“, erklärt Angelika Irschara, die für den Burger Hof zuständige EOS-Koordinatorin. Die Projekte am Hof werden zum größten Teil vom Schulverbund Pustertal konzipiert und durchgeführt.
Felix hat indes als Sprecher seiner neuen Oberschulklasse im vergangenen Herbst im Klassenrat angeregt, dass seine Klasse am Burger Hof zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen sollte. So groß war die Begeisterung darüber, was der Burger Hof in ihm und seinen früheren Mitschülern bewirkt hat
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