#3 Autonomie
In den vergangenen 20 Jahren gab es im Energiebereich Südtirols tiefgreifende Veränderungen. 2017 hat das Land die primäre Zuständigkeit für die Konzessionen erhalten. „Transparenz und Respekt gegenüber der Umwelt sind Leitmotive“, sagt Flavio Ruffini, Direktor der Landesagentur für Umwelt und Klimaschutz.

Herr Ruffini, welche Veränderungen gab es in den vergangenen Jahren dank unserer Autonomie?

Die vergangenen 20 Jahre haben den Südtiroler Energiebereich revolutioniert. Wir haben uns von der – zugegebenermaßen nicht optimal genutzten – Möglichkeit, Ausschreibungen durchzuführen, weiterbewegt in Richtung eigenständige Gestaltung der Ausschreibungen und der Zuweisung der hydroelektrischen Konzessionen. Leitend sind dabei die EU-Regeln, aber auch das öffentliche Interesse und die Transparenz. Wir haben den Skandal bei der Vergabe der Konzessionen überwunden, indem wir alles genau überprüft haben und als Folge die Umweltgelder zugunsten der betroffenen Gemeinden eingeführt haben. Dies heißt, dass private Investoren, die öffentliches Gut profitorientiert nutzen, ihre wirtschaftlichen Vorteile mit den Anrainergemeinden teilen müssen. Es wurde ein neues Gesetz zur Konzessionsvergabe von kleinen und mittleren Wasserkraftwerken bis zu 3 Megawatt (MW) ausgearbeitet. Dadurch wurde das Procedere transparenter, außerdem erhalten darin Umweltmaßnahmen mehr Gewicht. Zudem wurde das öffentliche Interesse auch bei Werken von 220 Kilowatt (kW) bis 3 MW gewahrt und die grundlegende Rolle der historischen Genossenschaften bestätigt. Letztere sind ebenfalls dazu verpflichtet, Umweltgelder zu entrichten. Im Jahr 2017 ist es, nach Monaten langwieriger Verhandlungen, schließlich auch gelungen, Art. 13 des Autonomiestatuts abzuändern. Dadurch erhielt das Land die primäre Zuständigkeit für den Bereich der Wasserkraftkonzessionen. Mithilfe der entsprechenden Durchführungsverordnung und dem Landesgesetz wird es möglich, dass die Bürgerinnen und Bürger künftig von einem Strombonus profitieren. Dieser finanziert sich aus den Abgaben, welche die Konzessionäre an das Land leisten. Auch die gute Zusammenarbeit mit dem staatlichen Hochspannungsnetzbetreiber Terna kommt uns allen zugute. So konnte  relativ rasch die Anbindung der Südtiroler Hochspannungsleitung mit Österreich und Europa über den Brenner und den Reschenpass umgesetzt werden. Nun steht die Erneuerung der gesamten Struktur im Eisacktal an. Man kann also ohne Zweifel festhalten, dass die Entwicklungen nach der Überwindung einer durchaus angespannten Situation sehr positiv sind.

 

Wie ist es dem Land gelungen, den sogenannten Energiestreit zu überwinden?

Ende 2014 gab es im Zusammenhang mit der fehlenden Vergabe der Konzessionen im Zeitraum 2009/10 Schadensersatzklagen im Ausmaß von 1,3 Milliarden Euro. Im Rahmen des sogenannten Energiestreits ging die Rechtssicherheit, vor allem aber das Vertrauen der Bevölkerung verloren. Gemeinsam ist es gelungen, den Energiestreit mit 0 Euro ausbezahlten Schadenersatz zu beenden. Nachdem ein Energietisch eingesetzt, die Konzessionen neu bewertet und die Anteile von Enel und Edison übernommen wurden, führten die Verhandlungen im Jahr 2016 schließlich zur Gründung der Südtiroler Energiegesellschaft Alperia. Diese ist zu 100 Prozent im Besitz der öffentlichen Hand. Anteile an kleinen und mittleren Kraftwerken wurden außerdem wie versprochen von den Gemeinden übernommen. Im Oktober 2018 hat das Land, das bislang 54,45 Prozent an Alperia hielt, seine Aktienmehrheit (8,07 Prozent) abgegeben, es hält seitdem 46,38 Prozent der Aktien. Die Mehrheit ist seitdem bei Selfin, die gänzlich den Südtiroler Gemeinden gehört. Den Gemeinden Bozen und Meran gehörten bereits jeweils 21 Prozent der Alperia-Aktien, Selfin bis dahin 3,55 Prozent. Innerhalb 2019 wird das Land einen Entwurf für ein neues Gesetz erarbeiten, welches den Regeln der Transparenz, des Umweltschutzes, des sozialen Ausgleichs, der technologischen Innovation und der Teilhabe der betroffenen Gebiete folgt. Dieses Gesetz sollte 2020 verabschiedet werden und dadurch die Ausarbeitung der offenen Ausschreibungen für sieben Kraftwerke ermöglichen. Momentan sind bereits die Konzessionen für die Werke in Marling, Pfitsch, Bruneck und Lappach verfallen. Innerhalb 2020 kommen weitere Werke wie Waidbruck, Graun und Prembach hinzu. Die Ausschreibungen könnten dann im Laufe des Jahres 2022 veröffentlicht werden, um noch innerhalb dieser Amtsperiode die Konzessionen neu vergeben zu können.

Welcher ist der wichtigste Aspekt bei der Vergabe neuer Konzessionen?

In meinen Augen die Umwelt. Die über 1000 Wasserkraftkonzessionen, der Bedarf der Landwirtschaft und unser Lebensstil verlangen unseren Wasserquellen einiges ab. Ein weiteres Phänomen mit unkalkulierbaren Auswirkungen verstärkt diesen Druck: nämlich der Klimawandel. Wir werden uns an Trockenperioden vor allem im Sommer gewöhnen müssen, außerdem werden Starkregenfällen und Hochwasser zunehmen. Genau aus diesem Grund muss der Umweltaspekt künftig noch stärker als bisher beim Umgang mit Wasserkraftquellen berücksichtigt werden. Wir müssen anerkennen, dass heute nicht mehr alles möglich ist, trotz Ausgleichs- und anderer Maßnahmen. Das 2015-er Gesetz hat eine Kehrtwende bei der Vergabe der Konzessionen vollzogen: Es gibt keine Betriebsgenehmigung, wenn ein Kraftwerk den Umweltauflagen nicht entspricht, unabhängig von den Umweltgeldern, die von den Betreibern angeboten werden. Vor dem Genehmigungsprozess wird überprüft, ob dieses Vorhaben den strategischen Maßnahmen entspricht. Besonderes Augenmerk wird auf den Wassernutzungsplan (Gesamtplan für die Nutzung der öffentlichen Gewässer, WNP) gelegt. Auch die Vorgaben der Landesregierung für besonders sensible Gewässerabschnitte müssen berücksichtigt werden – hierfür werden keine neuen Konzessionen ausgestellt. Bei Wildbächen ist eine Anfrage möglich, diese wird jedoch gründlich geprüft. All diese Maßnahmen fließen im Wasserschutzplan, der kurz vor seiner Fertigstellung steht, zusammen.

 

Nach dieser ersten Prüfung muss eine Umweltprüfung auf Projektebene bestanden werden – kleine und mittlere Werke werden von einer Dienststellenkonferenz angehört, Großprojekte müssen sich der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) unterziehen. Nur wer diese erfolgreich absolviert, kann den nächsten Schritt setzen, bei dem die Umweltgelder von entscheidender Bedeutung sind.

 

Welche Neuerungen ergeben sich durch die Zusammenarbeit mit Terna für die großen Verteiler- und Übertragungsinfrastrukturen?

In den vergangenen Jahren hat sich eine gute Zusammenarbeit mit Terna etabliert, in der Vergangenheit war dies nicht immer der Fall. Die Einbeziehung der betroffenen Gebiete war dabei der richtige Ansatz, Projekte werden nun verstärkt partizipativ angegangen. Erste Früchte gab es bereits 2012/13, als nach jahrelangen Diskussionen die sogenannte Wiltener  Leitung über den Brenner angegangen wurde. Durch diese 132-kV-Leitung entsteht die erste direkte energietechnische Verbindung zwischen Tirol und Südtirol. Um in Betrieb gehen zu können, fehlt noch ein Unterspannwerk, das südlich der Ortschaft Brenner gebaut wird.

"Es ist uns durch frühzeitiges Handeln gelungen, Synergien zu suchen, zu finden und diese optimal zu nutzen."

Zudem wurde ein neuer Anschluss zwischen dem Reschenpass bereits genehmigt. Dieser wird an der orographisch rechten Seite des Reschensees bis zum E-Werk in Glurns realisiert werden. Die Trassierung wurde dabei mit den betroffenen Gemeinden über einen Technischen Tisch und Informationsveranstaltungen (sog. Open Days) breit diskutiert und vorgestellt. Die Trasse zwischen Schluderns und dem Stilfserjoch ist momentan in der Phase der Genehmigung. Dadurch wird die Verbindung mit der Hochspannungslinie der Lombardei hergestellt.

 

Beim Bau des BBT und der Zulaufstrecke zwischen Franzensfeste und Waidbruck sollten ursprünglich neben den sechs bereits bestehenden Linien zwei weitere Linien (speziell für die Tunnels) die Stromversorgung garantieren. Es ist uns von der Landesagentur für Umwelt und Klimaschutz jedoch durch frühzeitiges Handeln gelungen, Synergien zu suchen, zu finden und diese optimal zu nutzen. So konnten wir gemeinsam das Bestmögliche herausholen. Aus dem von uns initiierten Tisch ging schließlich auch das historische Abkommen zwischen Land, Terna und RFI hervor, mit dem am 26. Juni 2018 eine neue Elektroinfrastruktur für das Eisacktal besiegelt wurde. Nun sind wir in der Phase der Umsetzung: Abgesehen vom Technischen Tisch gibt es einen regelmäßigen Austausch mit den Bürgermeistern der betroffenen Gemeinden, die über die aktuellen und anstehenden Schritte informiert werden. Für die Bürger im Eisacktal gab es zudem eine Reihe an Infoveranstaltungen, bei denen die Streckenführung und weitere Informationen vorgestellt wurden. Diese Herangehensweise gab es bei uns im Land bisher noch nie.

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