#4 Nachhaltigkeit
44 Kilogramm - so viel Plastik verwendet jeder Südtiroler im Jahr. Das Land will die Einwegbehälter und Kunststoffverpackungen aus den Landhäusern möglichst verbannen.

Von einem Leben ohne Plastik zu sprechen, ist leicht; plastikfrei zu leben ist eine Herausforderung. In der ferneren Vergangenheit gab es die Steinzeit und später die Eisenzeit. Das derzeitige Zeitalter könnte als Plastikzeit in die Geschichte eingehen. Die Produktion, die Nutzung und der Verbrauch dieses sehr formbaren und vielfältig einsetzbaren Materials, das biologisch kaum abgebaut werden kann, ist buchstäblich explodiert. Laut dem Bericht von Plasticseurope, dem europäischen Verband der Kunststoffhersteller, hat sich der jährliche Kunststoffverbrauch eines jeden Europäers von 40 Kilogramm im Jahr 1980 auf 118 Kilogramm im Jahr 2010 fast verdreifacht. Der Kunststoffbedarf in Europa wird mit rund 60 Millionen Tonnen pro Jahr beziffert. Und Südtirol liegt mittendrin. Der globale Trend geht in Richtung mehr Kunststoffe, insbesondere bei Verpackungen. 40 Prozent des Plastiks weltweit sind Verpackung. Dies spiegelt sich in der exponentiellen Zunahme des Abfallaufkommens wider. Während 2007 jeder Südtiroler 39 Kilogramm Kunststoff in Form von Abfällen produzierte, stieg diese Zahl 2017 auf 44 Kilogramm an: 5 Kilogramm mehr an Plastik pro Kopf, wobei der Anteil an Kunststoffen, die wiederverwertet werden, immer größer wird.

 

Landhäuser zuerst

„Die Landesagentur für Umwelt und Klimaschutz und das Öko-Institut Südtirol haben gemeinsam das Projekt ‚Plastic free‘ ins Leben gerufen, um in den Ämtern der Landesverwaltung den Einsatz von Einwegbehältern und Kunststoffverpackungen zu reduzieren“, berichtet Umweltlandesrat Giuliano Vettorato. „Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, müssen wir uns einen Überblick darüber verschaffen, wie und wo Kunststoff in den Büros verwendet wird, um dann sinnvolle Initiativen zu starten.“ Das Konzept sei sehr einfach, sagt der Landesrat: „Jeder kann seine täglichen Gewohnheiten verändern und damit seinen Beitrag für Umweltschutz und Klima leisten. In Summe ist es dann ein großer Beitrag, der jene Veränderungen bringt, die wir uns alle für die Welt wünschen.“

"Jeder kann seine täglichen Gewohnheiten verändern und damit seinen Beitrag für Umweltschutz und Klima leisten."
Giuliano Vettorato

Pfandgut = Wiederverwendung

Aber wie soll die Umweltbelastung durch Plastik verringert werden, wenn die Nachfrage und die Verwendung von Kunststoff ständig steigen? Das Schlagwort heißt Wiederverwendung, ein Begriff, der vom bewussten Konsum ausgeht. „Es gibt viele Beispiele, die uns die Auswirkungen unseres Verhaltens im Alltag bewusst machen können“, erklärt der Direktor im Landesamt für Abfallwirtschaft, Giulio Angelucci. Die Veränderung müsse bei jedem einzelnen beginnen, fordert er. Als Schlüsselkonzept bezeichnet Angelucci die Wiederverwendung, die gerade in letzter Zeit auch infolge des sogenannten „Greta-Effekts“ auf großes Interesse und viel Verständnis gestoßen sei. Wer hat sich nach den „Fridays-for-Future“ nicht gefragt, ob es nicht sinnvoller sei, eine Wasserflasche mit Leitungswasser anstelle der Plastikmineralwasserflasche zu benutzen? Oder ob beim Einkauf die Plastiktüte durch eine Stofftasche zu ersetzen sei? Diese scheinbar kleinen Maßnahmen können – wenn große Mengen an Menschen sie treffen – eine breite Wirkung haben. Dasselbe gilt für die Konsumentscheidungen, wie es das Beispiel des Pfandgutes zeigt. „Die lokalen Getränkehersteller haben sich dafür entschieden, Wasser, Säfte und andere Getränke in Mehrweg-Vakuum-Behältern aus Glas abzufüllen und in den Handel zu bringen“, berichtet Angelucci. Diese Entscheidung sei der Qualität zuträglich und das Produkt hebe sich dadurch auf dem Markt von der Konkurrenz ab. „Die vielen kleinen Entscheidungen, die wir täglich treffen, zeigen eine nicht zu übersehende Wirkung, wenn man bedenkt, dass eine Mehrwegflasche bis zu 40 Mal wiederverwendet werden kann“, sagt der Umweltfachmann.

 

Mülltrennung und Müllverwertung

Laut weltweiter Erhebungen wird fast ein Drittel der Kunststoffabfälle nicht ordnungsgemäß entsorgt und endet in die Natur, wo der Plastikmüll in den Boden gelangt, in die Meere und weiter in die kleineren und größeren Organismen. Alle kennen die Bilder der Kunststoffinseln, die im Ozean schwimmen. Die zuverlässigsten Schätzungen gehen von bis zu 15 Millionen Tonnen an Plastikmüll aus. Ein gutes Abfallmanagement ist nach den Worten von Umweltlandesrat Vettorato der Schlüssel, um Plastikansammlungen in der Umwelt zu vermeiden. „Die Mülltrennung spielt dabei zweifellos eine wichtige Rolle.“

In Bozen verkehren bereits seit mehreren Jahren Busse, die keine Emissionen ausstoßen.

Südtirol hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten große Fortschritte gemacht: Wurden im Jahr 2001 rund 37 Prozent des Abfalls getrennt (Glas, Papier, Karton, Plastik, Metalle, organische Abfälle etc.) so lag dieser Prozentsatz 2008 bei über 50 Prozent. Der Trend ist mit 69,4 Prozent im Jahr 2018 weiter steigend. „Für den Restmüll stellt die thermische Müllverwertungsanlage in Bozen-Süd eine viel bessere Lösung dar als andere Behandlungssysteme, welche die Müll- oder Kunststoffdispersion in der Umwelt erhöhen würden“, betont Amtsdirektor Angelucci. In der 2013 in Betrieb genommenen thermischen Müllverwertungsanlage können jährlich 130.000 Tonnen Abfall pro Jahr verbrannt werden. Die bei der Abfallverbrennung entstehende Wärme wird durch die Umwandlung in Dampf zurückgewonnen und als thermische und elektrische Energie genutzt. Der größte Teil des produzierten Stroms (fast 100.000 Megawattstunden) wird in das gesamtstaatliche Netz eingespeist, ein kleiner Teil für den Betrieb der Anlagen verwendet. Der nicht in Strom umgewandelte Dampfanteil liefert Wärmeenergie für das Fernwärmenetz der Stadt Bozen, das nach seiner vorläufigen Fertigstellung fast 15.000 Wohnungen und zahlreiche öffentliche Gebäude versorgen wird, darunter das Krankenhaus. Diese Fernwärme führt dazu, dass über ein Drittel der Heizkessel in Bozens Mehrfamilienhäusern überflüssig und damit die Emissionen im Raum Bozen um mehr als 20 Prozent sinken werden.

 

Strategischer Energieträger: Grüner Wasserstoff

„Im Rahmen unserer Maßnahmen für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit wollen wir dem Wasserstoff ein besonderes Augenmerk zukommen lassen“, berichtet Landesrat Vettorato. „Gemeinsam mit meinem Amtskollegen Daniel Alfreider wollen wir dem ‚grünen Wasserstoff‘, also einem aus erneuerbaren Energiequellen erzeugten Wasserstoff in der nachhaltigen Mobilität und auch in anderen Bereichen eine strategische Rolle beimessen. Wir denken da beispielsweise an einen ‚Grünen Korridor‘ und an einen mit grünem Wasserstoff betriebenen Schwerverkehr einschließlich Lastwagen, Züge, Busse und öffentliche Flotten.“ Parallel dazu sollen alle weiteren Nutzungsmöglichkeiten von Wasserstoff geprüft werden, beispielsweise solche über die Dekarbonisierung des Gasnetzes für private und industrielle Zwecke. Neben der industriellen Nutzung von Wasserstoff nimmt derzeit die Bedeutung des grünen Wasserstoffs als flexibler, emissionsfreier Energieträger zu, ebenso wie es für den Strom und die Biokraftstoffe der Fall ist.

 

Eine abfallfreie Welt

Ob Plastik oder nicht, Ziel muss es sein, weniger Abfall zu produzieren. Dies ist nicht nur möglich, sondern es war schon Wirklichkeit, wie ein Auszug aus Jutta Kußtatschers Buch „Müll erzählt. Die Geschichte des Abfalls in Südtirol“ belegt, in dem Johanna Plasinger Scartezzini erzählt: „Ich erinnere mich gut an meine Kindheit. Eine meiner Aufgaben war es, von Zeit zu Zeit einkaufen zu gehen. Meine Mutter gab mir eine Einkaufsliste, einen Korb und leere Behälter (saubere Flaschen, sorgfältig gewaschene Gläser und gebügelte Baumwollbeutel) mit. Öl, Mehl, Kekse, Käse, Nudeln, alles wurde genau gewogen und in die Behälter gelegt und dann wurde der Preis berechnet (zunächst von Hand, dann mit Hilfe eines mechanischen Rechners). Zu Hause wurde der Korb geleert und außer der Einkaufslistenkarte war nichts mehr zum Wegwerfen übrig. Unglaublich, kein Polyethylenbeutel, kein Zellophan, kein überflüssiges Plastiksackerl, kein Karton, kein Polystyrol, kein Tetra Pack, keine Dosen, keine PET-Flaschen, kein Aluminium.“ Es hört sich an wie im Märchen. Doch in den 1960er Jahren war der Alltag noch relativ abfallfrei.

Das Buch ist im Studienverlag erschienen. Aus der Südtiroler Müllerzählung wurde auch ein Bildungsprojekt für Schulen mit einer Reihe von Videos, die auf den Web-Seiten des Landes zum Thema Umwelt zu finden sind.

Willst du mehr? Folge LP auf Facebook und Twitter oder erhalte deine Kopie direkt zu Hause!