Aktiv, anstatt reaktiv: Ein Strategiewechsel in der Arbeitsmarktpolitik soll Südtirol gut aus der Krise am Arbeitsmarkt führen.

Südtirols Arbeitsmarkt hat sich verändert. Vergleicht man die Übersichtstabelle der Arbeitsmarktzahlen vom Jänner 2020 mit jenen aus demselben Zeitraum im Jahr 2021, fällt auch ungeübten Betrachtern sofort ins Auge: Es gibt kaum grüne Pfeile nach oben, viele blaue gleichbleibende Pfeile und noch mehr rote Pfeile, die nach unten zeigen. Besonders eklatant: Minus 57,2 Prozent oder numerisch ausgedrückt 18.140 unselbstständig Beschäftigte weniger im Sektor Gastgewerbe im Vergleich zum Vorjahr. Im Jahr 2020 war hier noch ein Plus von 4,2 Prozent (oder 1.294 Beschäftigte) vermerkt. Normalerweise liegt die Anzahl der freien Arbeitsplätze bei 2.000 bis 2.500 Stellen. Mit lediglich 1.074 offenen Stellen gibt es derzeit so wenige freie Arbeitsplätze wie lange nicht mehr. „Die Krise ist weit mehr als eine konjunkturelle Nachfrageschwäche, sie wird zu einer Reihe struktureller Veränderungen führen“, sagt Stefan Luther, Direktor der Landesabteilung Arbeit. Das Coronavirus und seine Folgewirkungen haben somit auch Südtirols Arbeitsmarkt derzeit fest im Griff. Das Amt für Arbeitsmarktbeobachtung rechnet mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit von sechs bis neun Prozent, sobald der staatliche Kündigungsschutz fällt – Ende 2019 lag dieser Wert bei 2,9 Prozent. Wie reagiert Südtirol auf diese neuartige Ausgangslage?

 

Trendwende in Richtung aktive Arbeitsmarktpolitik

„Angesichts der aktuellen Herausforderungen benötigt Südtirol mehr denn je eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Wir müssen den Arbeitsmarkt längerfristig krisenfester machen und reagieren können – aktiv, anstatt reaktiv“, gibt der für Arbeit und Wirtschaft zuständige Landesrat Philipp Achammer die Richtung vor. Leitend dabei sei das Strategiedokument „Aktive Arbeitsmarktpolitik 2020-24″, das von der Landesarbeitskommission im September 2020 angenommen und von der Landesregierung im November des Vorjahres genehmigt wurde. Darin finden sich Zielsetzungen, aus denen sich vielfältige Maßnahmen ableiten lassen. Ein erster Schritt hin zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik sei bereits gesetzt worden, berichtete Landesrat Achammer in der Februarsitzung des Südtiroler Landtages. Konkret gemeint sei damit der Umbau der Arbeitsvermittlungszentren hin zu Arbeitsservicezentren. Diese sollen, personell und technisch gestärkt, ihre Kerndienstleistung Arbeitsvermittlung, aber auch einen Service für Arbeitssuchende und Arbeitgeber anbieten. „Nur mit einem starken, ausgebauten Arbeitsmarktservice können wir den permanenten Wandel auf dem Arbeitsmarkt begleiten“, erklärt Luther. Es gehe darum, Betrieben und Arbeitssuchenden kompetente und zielgruppengerechte Beratung und passende Maßnahmen anbieten zu können. „So kann ich mir gut eigene Beratungsformate für Frauen vorstellen oder besondere Leistungen, die sich in Mangelberufen aus- und weiterbilden lassen“, führt der Abteilungsdirektor aus.

Frauen und Jugendliche im Fokus

Beim Blick auf die Zahlen fällt auf, dass besonders weibliche Arbeitskräfte in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis von der aktuellen Krise hart getroffen sind: Von März bis Dezember 2020 hat die Anzahl der Arbeitnehmerinnen um fünf Prozent abgenommen – das sind 5.360 erwerbstätige Frauen weniger. Der Rückgang bei männlichen Arbeitnehmern betrug im selben Zeitraum vier Prozent (4.800 Männer). Noch stärker betroffen vom pandemiebedingten Arbeitsplatzverlust waren hingegen Jugendliche unter 30 Jahren, bei denen ein Rückgang von sieben bis zehn Prozent verzeichnet wurde. „Bei Frauen wirkt vielfach ein ‚Sektoreneffekt‘: Wenn Gast- und Beherbergungsgewerbe rückläufig sind, dann trifft dies vor allem weibliche Arbeitskräfte“, bestätigt Stefan Luther. Auch hier sei die aktive Arbeitsmarktpolitik die richtige Strategie, um gegen dieses Phänomen anzugehen und die Beschäftigungsquote wieder ansteigen zu lassen. Zudem böten sich über Homeoffice, Digitalisierung und neue soziale Kompetenzen die Chancen zu einer tiefgreifenden Modernisierung der Arbeitswelt, die wiederum zu einer Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen und Männern führen könne.

Primäre Zuständigkeit für Arbeitsmarktpolitik als Ziel

Allen negativen Zahlen zum Trotz: Südtirol weist im Vergleich zum restlichen Staatsgebiet nach wie vor die höchste Erwerbstätigenquote auf. Dies gilt sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Erwerbstätigen. Auch bei den Branchen gibt es einige, wie beispielsweise das verarbeitende Gewerbe oder das Bauwesen, die derzeit stabil sind. Positiv anzumerken bleibt auch, dass einige Unterbranchen wie Informations- und Kommunikationsdienstleistungen, freiberufliche wissenschaftliche oder technische Dienstleistungen auch aktuell einen Arbeitskräftezuwachs verbuchen. „Die Leistungsfähigkeit der Institutionen des Landes und auch die Qualität politischer Entscheidungen sind in dieser fundamentalen Krise stark gefragt. Es sind mittel- und kurzfristige Rahmenbedingungen notwendig, damit wir über einen wirtschaftlich und sozial nachhaltigen Arbeitsmarkt verfügen“, umschreibt Abteilungsdirektor Luther die aktuellen Herausforderungen. Landesrat Philipp Achammer ist überzeugt, im Bereich der Arbeit stärker als bisher eigenständige Wege beschreiten zu können: „Lokale Realitäten benötigen lokale Antworten – daher streben wir im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik die primäre Zuständigkeit an.“ Dadurch sei es möglich, das Potential der Südtiroler Arbeitsstellen bestmöglich zu nutzen. Die Pandemie hat Südtirols Arbeitsmarkt ordentlich durcheinandergebracht, dennoch gebe es Gründe zur Zuversicht. So gebe es vor allem in den systemrelevanten Tätigkeitsfeldern derzeit, aber auch künftig einen großen Bedarf an Personal. Ein erhöhter Arbeitskräftebedarf werde außerdem aufgrund der demografischen Entwicklung in den Bereichen Pflege, Gesundheit und familienbestimmte Dienstleistungen erwartet. „Wir werden in Südtirol wiederum auf einen starken Arbeitskräftebedarf zusteuern“, ist Stefan Luther überzeugt.

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