Im Laufe des Jahres 2020 hatte ich des Öfteren Gelegenheit, das Thema anzusprechen, über das ich jetzt für dieses Magazin schreibe. Ich habe im Frühjahr im Rahmen eins von der OECD organisierten Forums (), und zudem an verschiedenen Universitäten und auf öffentlichen Diskussions-Plattformen darüber gesprochen.  Alle repräsentativen Studien zeigen, dass Kultur und Tourismus zu den am stärksten von der Pandemie betroffenen sozioökonomischen Sektoren gehören (siehe u.a. (filesusr.com)).

Obwohl es sehr schwierig und vielleicht sogar sinnlos ist, Vorhersagen zu machen, hatte ich immer im Hinterkopf, dass die Überwindung der Krise auch durch intensives kulturelles Schaffen und demnach durch neue und entscheidende Formen der öffentlichen und privaten Unterstützung begünstigt werden könnte. Wenn es stimmt, dass die künstlerischen Disziplinen durch die strengen Selektionsprozesse aufleben, dann ist es auch wahr, dass es in den nächsten Jahren richtig und notwendig sein wird, das Netz zu erweitern und eine breitere Präsenz der Arbeit von Künstlern im täglichen Leben der Menschen zu fördern. „Wenig und gut“ ist jetzt vor allem noch wenig. Die stärkere Förderung von mehr Künstlern wird auch für Forschung und Kritik neue Arbeit und neue Themen bringen. Die Tiroler Tradition birgt viele Ideen für entsprechende Aktionen: Interventionen auf Bergwegen, in öffentlichen und privaten Gebäuden, in Kirchen und an Hofmauern gab es schon immer und sie können heute ein Pentagramm bilden, auf dem eine ganz neue Musik geschrieben werden kann.  Also weniger Subventionen und mehr Arbeitsmöglichkeiten!

Die gewohnten Besuche von Ausstellungen, Museen, Theatern und Kinos und der Kulturtourismus in die Ferne sind derzeit nicht möglich, so scheint es an der Zeit für einen neuen öffentlichen Auftrag zu sein, der so breit wie möglich gefächert ist, auch für neue private Initiativen, die die Arbeit von Künstlern in die Gebäude, Straßen, Büros, Produktionsstätten und Versammlungsorte, Krankenhäuser und Häuser bringen; so wie es in der Antike schon war, gerade in unseren Städten und Gemeinden in den Alpen und in Tirol.  Um Unternehmen und Menschen in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen, können private Ausgaben durch gezielte öffentliche Investitionen reduziert werden: Jetzt dürfen wir nicht sparen, sondern müssen vorausschauend investieren. Eine Chance könnte sich aus der Renovierung öffentlicher und privater Gebäude ergeben, mit besonderem Augenmerk auf historische Zentren und mit besonderer Großzügigkeit in den Vorstädten, wo wir das Glück haben, dass das Wobi aktiv ist, mit Maßnahmen wie dem Fassadenbonus oder den 110%-Anreizen, bei denen es interessant und mutig wäre, in die förderfähigen Ausgaben auch Arbeiten von Künstlern aufzunehmen, die in den nächsten zwei Jahren geschaffen werden. Die Erfahrung, dem Werk von Künstlern zu begegnen, sollte nicht mehr außergewöhnlich scheinen, wie es heute oft ist, sondern alltäglich, vor allem für Kinder, die in Italien wieder damit aufwachsen sollten, in ihrem Lebensumfeld jeden Tag neue Kunstwerke zu entdecken, die nicht nur aus einer glorreichen Vergangenheit stammen, sondern auch solchen, die in diesen schwierigen Zeiten entstehen. In diesem Zusammenhang denke ich an die Schriften von Alberto Garutti zu der bahnbrechenden Arbeit, die wir als „kleines Museion“ kennen, zwischen den Gemeindehäusern in der Sassari-Straße in Bozen: „In diesem kleinen Raum werden Werke aus dem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst ausgestellt (…), damit die Bürger des Viertels sie sehen können. Dieses Werk (…) ist all jenen gewidmet, die hier vorbeikommen und es betrachten, und sei es auch nur für einen einzigen Moment“.

 

 

Leider ist nicht davon auszugehen, dass das Abklingen der Ansteckungen mit einer sofortigen massiven Rückkehr zum kulturellen Leben einhergehen wird; Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die sich über ein Jahr lang radikal verändert haben, werden nicht automatisch wieder zurückgenommen. Aufgrund dieser Überlegungen wird die Landesverwaltung im Jahr 2021 das vor einigen Jahren begonnene Projekt Artoteca erweitern und sich dabei erneut auf das bestehende Bibliothekssystem stützen, um noch mehr Kunstwerke an Menschen zu entlehnen, die solche aufgrund mangelnder Familientradition oder wirtschaftlicher Möglichkeiten nicht zu Hause haben. Es wird durchaus auch sinnvoll sein, Wandmalereien, Live-Performances auf den Plätzen und in den Höfen der Randbezirke, die Veröffentlichung von Büchern, die Geschichten aus der Nachbarschaft, von Kleinstadtgemeinschaften oder bestimmten Stadtteilen erzählen, Regiearbeiten für Dokumentar- und Kurzfilme und andere Beschäftigungen in Richtung Web und Soziales in Hinblick auf Mitarbeiter und audiovisuelle Künstler zu fördern.  Für einen relativ langen Zeitraum werden die realen Aktivitäten, wenn sie wieder aufgenommen werden, von den neuen Aktivitäten in digitalen Umgebungen und im Fernsehen begleitet werden und für eine lange Zeit auch von der Hybridisierung der Sprachen betroffen sein. Im Moment erarbeiten wir ein Programm mit dem Namen „die Kultur zuhause“, das über soziale Netzwerke und Webplattformen kulturelle und pädagogische Themen nach Hause zu den Menschen bringt, nicht zuletzt auch dank unseren guten Beziehungen zu den omnipräsenten  privaten und öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern.

Ein fundamentaler Teil einer erneuerten Post-Covid-Kultur wird all das sein, was mit Initiativen mit einer starken pädagogischen Tiefe verbunden ist. Dabei hat das Kulturförderungsgesetz der Provinz Bozen Nr. 9/2015 einige Überlegungen vorweggenommen, die Europa schließlich in den Konjunkturplan aufgenommen hat. Für eine nachhaltige Zukunft müssen wir das gute Netzwerk weiter ausbauen, das schon heute im Vergleich mit anderen Regionen Italiens und Europas sehr gut dasteht, das System der Erwachsenenbildung – Long Life Learning, das in Zukunft unbedingt junge Paare mit kleinen Kindern stärker einbeziehen sollte.

Die vielen aktuellen Subventionen werden nachhaltig, wenn im Gegenzug die Menschen zu mehr Selbstbildung eingeladen werden (wie es die Kirche schon immer getan hat). Die großen Projekte wie UNIBZ und NOI Techpark (die aufsehenerregendsten und bewundernswertesten Entschärfer des „Mir sein mir“) werden auf lange Sicht nur dann positive Effekte erzielen, die ihren Kosten angemessen sind, wenn die kulturelle Teilhabe aller, wirklich aller Menschen, die in der Gegend leben, zunimmt, andernfalls laufen sie Gefahr, zu Orten für schnelle Karrieren vorübergehender Gelehrter zu werden und werden die Umgebung verarmen lassen, statt sie zu bereichern. Eine weit verbreitetes Kulturleben und ein verbessertes lebenslanges Lernen werden auch die Unternehmen dabei unterstützen, übergreifend und nicht nur in einzelnen Sektoren für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu arbeiten.  Kultur- und Kreativunternehmen haben heute einen wichtigen Platz in den zukünftigen Entwicklungsprogrammen Europas, und in den ersten Texten des Recovery Plans und in den nachfolgenden Entwürfen müssen sie bei der Entwicklungsplanung von Industrie, Handwerk, Umwelt und Tourismus, aber auch von Gesundheit und „sozialem“ Wohnungsbau eingebunden und berücksichtigt werden. Diese Bereiche dürfen nicht länger nur Insidern oder Handelsorganisationen oder direkten Interessensgruppen überlassen werden. Es ist daher offensichtlich, dass es für die nachhaltige Entwicklung dieser Provinz unabdingbar sein wird, mehr in kulturelle Aktivitäten zu investieren, in die Kenntnis der eigenen Geschichte und des eigenen kulturellen Erbes, auch mit Hilfe der neuen Methoden der Erzählung, die für die digitalen Wege typisch sind (einschließlich Radio und Fernsehen) und der besten Pflege der nationalen und internationalen Beziehungen, die ein Land wie das unsere charakterisieren, das schon immer ein Knotenpunkt des Austausches war.

Kultur in ihren vielfältigen Ausdrucksformen hat lange und oft in der Sozialität Unterschlupf gefunden, und hier waren wir Pioniere in der Deklination der Beziehung zwischen Kultur, Gesundheit und Wohlbefinden, schon seit den späten 90er Jahren. Heute ist diese Beziehung weitgehend erforscht und Gegenstand sowohl der gesellschaftlichen, als auch der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit.

Die Aufgabe der Kulturresorts in den Landes- und Städteverwaltungen liegt darin, den Kulturschaffenden qualifizierte Beamte und Manager zur Verfügung zu stellen. Die Qualifikation geht jedoch bei organischen Engpässen und plötzlichen oder unverhältnismäßigen Arbeitsbelastungen verloren, auch in diesem Bereich wird eine entsprechende Planung unerlässlich sein. Die sorgfältige Auswahl und die ständige Weiterbildung müssen daher verstärkt werden, die Arbeitsbelastung muss von Grund auf neu erhoben werden, da sich die Art und Weise des Schaffensprozesses im Kulturbereich schnell und wesentlich verändert hat. Wir müssen Unterstützung bieten für eine soziale und wirtschaftliche Neubewertung des Sektors, für die Begleitung kultureller Erfahrungen, für Prozesse des Schutzes, der Bewahrung und der Katalogisierung mit den neuen Möglichkeiten, die die digitale Welt schafft. Wir müssen Möglichkeiten schaffen, dass neue Stellen im öffentlichen Sektor geschaffen werden für die Unterstützung von Vereinen, dass diese junge Mitarbeiter einstellen können, sicherstellen, dass junge Arbeitnehmer im Kultursektor besser bezahlt werden können und mehr Möglichkeiten in der Leitung von Institutionen haben, die zu oft durch Kooptationen oder undurchsichtige Auswahlverfahren besetzt sind und junge Menschen und Frauen ausschließen.

Wir verbinden kulturelle Aktivitäten oft nur mit der Freiwilligenarbeit, die nach wie vor sehr, sehr wichtig ist, aber genau das lässt uns vergessen, wie viele Arbeitsplätze kulturelle Aktivitäten in den letzten zwanzig Jahren geschaffen haben, dank der Entschlossenheit und der kulturellen Innovationen in jeder Sprachgruppe, um die uns andere italienische und europäische Regionen beneiden. Seit mehr als zwanzig Jahren ist Südtirol-Alto Adige eines der wichtigsten „Laboratorien“ für Initiativen zur stärkeren kulturellen Teilhabe der Bürger und es hat sich weit von den niedrigen Durchschnittswerten in Italien und in vielen europäischen Ländern abgesetzt. Das Vorhandensein verschiedener Kulturen und der Umgang mit kulturellen und sprachlichen Unterschieden sind hier eine etablierte Realität, die viele Jahrzehnte vor den Problemen und Chancen des Multikulturalismus in anderen italienischen und fast allen europäischen Regionen Gegenstand der Gesetzgebung war. Noch vor wenigen Jahrzehnten zeichnete sich dieses Gebiet durch eine starke kulturelle Konservierung aus, die typisch ist für alle Gebiete der Alpen und der Inseln, die oft den „spacciatori di passato“ zum Opfer fielen.  Das Vorhandensein dreier Kulturen, die immer mehr zusammenfinden und die auf jeden Fall solide Garantien für autonome Entwicklungswege aufrechterhalten, hat Experimente begünstigt, die manchmal sehr mutig waren. Die Repertoires der klassischsten Ausdrucksformen der populären Musik wurden revolutioniert, alle möglichen Hebel des unkonventionellen Marketings wurden eingesetzt, Kampagnen zur Steigerung des sozialen Bewusstseins für den Kulturkonsum wurden verbreitet, und die Begegnung mit der zeitgenössischen Kultur und eine bessere Kenntnis des eigenen Territoriums und der Umgebung wurden auf jede Weise gefördert. Letzteres hat in einer Zeit, in der der Binnentourismus von größter Bedeutung ist, zur Unterstützung der lokalen Wirtschaft beigetragen und wird das auch in Zukunft tun.

Durchaus aus einer privilegierten Perspektive werden wir zurückkehren zu kulturellen Aktivitäten, zunehmend unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit für ein Leben, das für lange Zeit des Reisens beraubt war.  Wir werden viele Arten des Kontakts mit der Natur, Wellness-Aktivitäten und Sport betreiben, in Erwartung eines neuen nachhaltigen Tourismus, weg von Hit-and-Run-Erfahrungen, die durch den Massentourismus vorangetrieben werden. Wir werden bewusster sein, Dinge wiederentdecken, die nahe liegen und die neuen kulturellen Erfahrungen auf bewusstere und präzisere Ziele des persönlichen Wachstums und Sinns beziehen.

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