Zwei Weltkriege, Faschismus, Nationalsozialismus und die harte Auseinandersetzung um die Erringung einer wirksamen Autonomie: Südtirols Weg durch das 20. Jahrhundert gleicht einem verwirrenden Labyrinth mit Hindernissen und Sackgassen. Paketlösung und Zweites Autonomiestatut stellen herausragende Meilensteine dieser Entwicklung dar. Ein halbes Jahrhundert danach prägen sie auch das Südtirol von heute.

Anfang November 1918 endete der Erste Weltkrieg an der österreichisch-italienischen Front. Massenweise drängten die Soldaten der geschlagenen k. u. k. Armee damals Richtung Norden über den Brenner. Sie plünderten, was nicht niet-und nagelfest war und versetzten die Bevölkerung in den Gemeinden an den großen Tiroler Transitrouten in Angst und Schrecken. Die Enttäuschung über den verlorenen Krieg ließ dem aufgestauten Frust freien Lauf. Nach und nach besetzte schließlich italienisches Militär das ganze Land. Der am 4. November 1918 in Kraft getretene Waffenstillstand von Villa Giusti ist wohl ein Schlüsselereignis, das die Geschichte Südtirols im 20. Jh. nachhaltig geprägt hat. Der Zusammenbruch der Habsburgermonarchie, die Vorwegnahme der Brennergrenze durch den Waffenstillstand und die Haltung der Siegermächte des Ersten Weltkriegs zu Südtirol stellten die Weichen in eine Richtung, die schließlich im Oktober 1920 zur offiziellen Annexion Südtirols durch Italien führen sollte.Zunächst aber setzten die Südtiroler all ihre Hoffnungen auf das Selbstbestimmungsrecht, das der amerikanische Präsident Woodrow Wilson auf der Pariser Friedenskonferenz verkündet hatte. Allerdings: Die realpolitischen Zwänge legten eine andere Lösung nahe. Wilson hatte Rom die Brennergrenze noch vor Beginn der Pariser Friedenskonferenz Mitte Januar 1919 zugesagt. Diese frühe Konzession Südtirols lässt sich weniger auf den Londoner Geheimvertrag von 1915, in dem die Brennergrenze bereits versprochenworden war, denn auf politisch-taktische Beweggründe zurückführen: Einerseits wollte Wilson Rom rasch für sein Völkerbundprojekt gewinnen und andererseits war er nicht bereit, die italienischen Gebietsforderungen an der jugoslawischen Grenze zu erfüllen. Südtirol war deshalb eine Art territoriale Kompensation für einen als ‚schwachen Sieger‘ gesehenen italienischen Staat, dessen überzogene Forderungen und Großmachtgelüste insgesamt in die Schranken gewiesen werden sollten. Der am 10. September 1919 unterzeichnete Vertrag von St. Germain hielt es schließlich unverrückbar fest: Südtirol wurde Italien zugeschlagen.

 

 

Passive Resistenz, ziviler Ungehorsam und ein hartnäckiges Durchhaltevermögen der Bevölkerung trugen mit dazu bei, dass die faschistische Entnationalisierungspolitik nur magere Erfolge verbuchen konnte.

Erste Autonomieverhandlungen

In der Folge kam es bald zu Kontakten zwischen römischer Regierung und Südtiroler Politik. Der Deutsche Verband –die neu entstandene bürgerliche Sammelbewegung im Land –und die Südtiroler Sozialdemokraten legten Rom zwei eigenständige Grundsatzpapiere als Basis für eine künftige Selbstverwaltung des Landes im Rahmen des italienischen Staates vor. Die Autonomie-Verhandlungen mit dem Kabinett von Ministerpräsident Francesco Saverio Nitti verliefen sich allerdings im Sand. Die nach dem Krieg amtierenden liberalen römischen Kurzzeit-Regierungen waren politisch äußerst instabil und konnten dem zunehmenden Druck der erstarkenden Nationalisten und Faschisten nur mit Mühe standhalten. Letztere machten sich auch in Südtirol zunehmend bemerkbar. Am 24. April 1921 ermordeten faschistische Squadristen im Rahmen eines Trachtenumzugs den Marlinger Lehrer Franz Innerhofer. Dutzende Teilnehmer wurden am „Bozner Blutsonntag“ verletzt. Am 1. Oktober 1922 verbreiteten wiederum mehrere Tausend gewaltbereite Faschisten Angst und Schrecken in der Stadt. Sie besetzten die Elisabethschule sowie das Rathaus und forderten die Absetzung des Bozner Bürgermeisters Julius Perathoner.

Schrittweise Italianisierung

Nach der faschistischen Machtübernahme und der Proklamation der „Provvedimenti per l’Alto Adige“ durch Ettore Tolomei brachten die Faschisten ein stufenweise umgesetztes Italianisierungsprogramm auf den Weg: von der Einführung der italienischen Ortsnamen über die Italianisierung der Schule hin zur Abschaffung der Gemeindeautonomie, um nur einige Maßnahmen zu nennen. An Selbstverwaltung oder Autonomie war nun keinesfalls mehr zu denken. Diese erste Phase der Italianisierungspolitik wurde in den 1930er-Jahren von einer

aggressiveren faschistischen Strategie abgelöst: Im Rahmen der Schaffung der Bozner Industriezone (1935) sollte vor allem eine verstärkte Immigration den ethnischen Charakter des Landes langfristig verändern und die Italianisierung entscheidend voranbringen. Letztlich war der italienische Faschismus in Südtirol allerdings wenig erfolgreich: Passive Resistenz, ziviler Ungehorsam und ein hartnäckiges Durchhaltevermögen der Bevölkerung trugen mit dazu bei, dass die faschistische Entnationalisierungspolitik nur magere Erfolge verbuchen konnte. In den 1930er Jahren erwuchs dem Faschismus durch die im Völkischen Kampfring Südtirols (VKS) organisierte illegale nationalsozialistische Bewegung ein weiterer Gegenspieler. Durch Hitlers Machtübernahme, die Saar-Abstimmung und den „Anschluss“ Österreichs erhielten die Nationalsozialisten auch in Südtirol Aufwind. Die Hoffnungen vieler Südtiroler ruhten fortan auf Hitler-Deutschland, von dem man sich ein Ende der faschistischen Unterdrückung erhoffte.

 

Die Option

Der „Führer“ selbst hatte allerdings aus Staats-und Parteiraison schon längst auf Südtirol verzichtet. Nichtsdestotrotz blieb das Südtirol-Problem ein kontinuierlicher Zankapfel innerhalb der deutsch-italienischen Beziehungen →–ein Problem, das mit dem Berliner Abkommen vom 23. Juni 1939 ein für alle Mal aus der Welt geschafft werden sollte. Nach einer beispiellosen Propagandaschlacht, die die Südtiroler Bevölkerung bis in die Familien hinein in „Dableiber“ und „Geher“ spaltete, entschieden sich im Rahmen der „Option“ rund 86 Prozent für eine Auswanderung ins Deutsche Reich. Weil sich die vielen Versprechen der NS-Umsiedlungspropaganda bald als Trugschluss erwiesen und nicht zuletzt durch den ungünstigen Kriegsverlauf geriet die Auswanderung der Optanten aber bald ins Stocken. Rund 75.000 verließen das Land –der Großteil noch innerhalb des Jahres 1940.Nach dem Sturz Mussolinis und dem –vielerorts als ‚Befreiung‘ gefeierten –Einmarsch deutscher Truppen am 9. September 1943 wurde die Hoffnung auf eine Angliederung Südtirols an das Deutsche Reich abermals enttäuscht. Südtirol wurde gemeinsam mit den Provinzen Trient und Belluno zur „Operationszone Alpenvorland“, blieb allerdings im staatsrechtlichen Sinne Teil der Mussolini verbliebenen Repubblica Sociale di Salò. Freilich hatten sich die Machtverhältnisse im Land grundlegend verändert, und das gesellschaftliche und politische Leben vollzog sich gleichsam in vertauschten Rollen. Die nationalsozialistischen Provinzoberen nahmen zwar eine Reihe von Italianisierungsmaßnahmen zurück, gingen aber scharf gegen die „Dableiber“ und vielfach auch gegen die italienische Bevölkerungsgruppe vor. Der deutsch-beziehungsweise italienischsprachige Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft formierte sich im Andreas-Hofer-Bund, der 1939 von „Dableibern“ gegründet worden war, und der Bozner Zweigstelle des „Comitato di Liberazione Nazionale“.

 

 

Zum Entsetzen der Südtiroler umfasste das 1948 als Verfassungsgesetz verabschiedete Erste Autonomiestatut eine Selbstverwaltung, die sich nicht nur auf Südtirol, sondern auch auf das Trentino erstreckte.

Der Pariser Vertrag

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges, der auch für die Menschen zwischen Brenner und Salurn unendliches Leid bedeutet hatte, bot sich der Südtiroler Politik eine Art Déjà-vu-Erlebnis. Die Situation 1945/46 ähnelte auf frappierende Weise den Verhältnissen von 1918/19. Wieder berieten die alliierten Siegermächte in Paris über den künftigen Frieden und erneut stand das nun von der Südtiroler Volkspartei (SVP) energisch geforderte Selbstbestimmungsrecht zur Debatte. Und wieder waren in erster Linie politstrategische Gründe ausschlaggebend dafür, dass an der Brennergrenze nicht gerüttelt wurde. Südtirol wurde zu einem Spielball der internationalen Friedensdiplomatie im Zeichen des dämmernden Kalten Krieges. Die antikommunistische Orientierung der westalliierten Politik war darauf ausgerichtet, Rom möglichst eng an sich zu binden und die Sowjets auf Distanz zu halten. Am 30. April 1946 sprach sich die Friedenskonferenz definitiv für die Beibehaltung der Brennergrenze aus. Über britischen Druck kam es allerdings zu einer österreichisch-italienischen Verständigung, die im bekannten Gruber-Degasperi-Abkommen vom 5. September 1946 zu Papier gebracht wurde. Es umfasste die verpflichtende Konzession von Schutz-und Autonomiebestimmungen für die Südtiroler Minderheit. Das von Historikern schon als „Magna Charta“ bezeichnete Papier entpuppte sich allerdings in einem Punkt als sprichwörtliches ‚Trojanisches Pferd‘: Die Tatsache nämlich, dass die Festlegung des territorialen Bezugsrahmens der Autonomie erst noch zu erfolgen hatte, sollte bald zu großen Problemen führen.

Zum Entsetzen der Südtiroler umfasste das im Februar 1948 als Verfassungsgesetz verabschiedete Erste Autonomiestatut schließlich eine Selbstverwaltung, die sich nicht nur auf Südtirol, sondern im Rahmen der neu geschaffenen „Region Trentino-Alto Adige/Tiroler Etschland“ auch auf das Trentino erstreckte. Der Bozner Landtag war mit nur wenigen Kompetenzen ausgestattet, das Gros der Entscheidungsbefugnisse lag bei der Trienter Regionalregierung, in der die Südtiroler von den italienischen Mehrheitsparteien ein wie das andere Mal überstimmt werden konnten.

Die negativen Auswüchse dieser „Scheinautonomie“, die auch nach 1945 anhaltende italienische Immigration und die allgemeine Perspektivenlosigkeit, die sich vor allem unter vielen jungen Südtirolern breitmachte, riefen Unbehagen und Protest hervor, die sich auf verschiedene Weise artikulierten: Auf politischer Ebene führte diese kritische und herausfordernde Situation zu einem Generationswechsel innerhalb der Südtiroler Volkspartei. Mit Silvius Magnago übernahm am 25. Mai 1957 ein charismatischer Jungpolitiker die Partei, der wenige Monate später in einer historischen Protestkundgebung auf Schloss Sigmundskron nachdrücklich das „Los von Trient“ forderte. Unabhängig von der autonomistisch ausgerichteten Linie der Sammelpartei suchte hingegen der Befreiungsausschuss für Südtirol (BAS) auf gewaltsamem Wege die Selbstbestimmung für Südtirol – also das „Los von Rom“ – zu erzwingen. In der Feuernacht vom 11./12. Juni 1961 wurden 37 Hochspannungsmasten in die Luft gesprengt. Trotz aller Vorsätze, Menschenleben zu schonen, kam der Straßenarbeiter Giovanni Postal ums Leben. Die SVP verurteilte die Attentate, die auch in der Bevölkerung auf breite Ablehnung stießen und insgesamt eine atmosphärische Radikalisierung der Auseinandersetzung rund um die Lösung des Südtirol-Problems nach sich zogen.

In den bewegten Jahren zwischen dem Sigmundskroner Protest und der Feuernacht rückte Südtirol zunehmend in das Blickfeld überregionalen Interesses. Seit dem Staatsvertrag (1955) brachte sich Wien weit intensiver als bisher in die Südtirol-Frage ein. Nach erfolglosen österreichischen Interventionen in Rom konfrontierte der sozialistische Außenminister Bruno Kreisky die Vereinten Nationen mit den unbefriedigenden Verhältnissen in Südtirol. 1960/61 ermahnte schließlich die UNO-Vollversammlung beide Vertragsparteien mehrfach, auf eine konsensuelle Umsetzung des Pariser Abkommens hinzuarbeiten.

 

Enttäuschte Autonomie

Zum Entsetzen der Südtiroler umfasste das im Februar 1948 als Verfassungsgesetz verabschiedete Erste Autonomiestatut schließlich eine Selbstverwaltung, die sich nicht nur auf Südtirol, sondern im Rahmen der neu geschaffenen „Region Trentino-Alto Adige/Tiroler Etschland“ auch auf das Trentino erstreckte. Der Bozner Landtag war mit nur wenigen Kompetenzen ausgestattet, das Gros der Entscheidungsbefugnisse lag bei der Trienter Regionalregierung, in der die Südtiroler von den italienischen Mehrheitsparteien ein wie das andere Mal überstimmt werden konnten.Die negativen Auswüchse dieser „Scheinautonomie“, die auch nach 1945 anhaltende italienische Immigration und die allgemeine Perspektivenlosigkeit, die sich vor allem unter vielen jungen Südtirolern breitmachte, riefen Unbehagen und Protest hervor, die sich auf verschiedene Weise artikulierten: Auf politischer Ebene kam es zu einem Generationswechsel innerhalb der Südtiroler Volkspartei. Mit Silvius Magnago übernahm am 25. Mai 1957 ein charismatischer Jungpolitiker die Partei, der wenige Monate später in einer historischen Protestkundgebung auf Schloss Sigmundskron nachdrücklich das „Los von Trient“ forderte. Unabhängig von der autonomistisch ausgerichteten Linie der Sammelpartei suchte hingegen der Befreiungsausschuss für Südtirol (BAS) auf gewaltsamem Wege die Selbstbestimmung für Südtirol –also das „Los von Rom“ –zu erzwingen. In der Feuernacht vom 11./12. Juni 1961 wurden 37 Hochspannungsmasten in die Luft gesprengt. Trotz aller Vorsätze, Menschenleben zu schonen, kam der Straßenarbeiter Giovanni Postal ums Leben. Die SVP verurteilte die Attentate, die auch in der Bevölkerung auf breite Ablehnung stießen und insgesamt eine Radikalisierung der Auseinandersetzung rund um die Lösung des Südtirol-Problems nach sich zogen.

Die erfolgreiche Ausgestaltung der Südtirol-Autonomie infolge des Zweiten Autonomiestatuts traf auf große Zustimmung. International galt sie vielfach als nachahmenswerter Modellfall der konsensual-verhandlungsbasierten Lösung eines Minderheitenproblems.

Der Weg zum Paket

In den bewegten Jahren zwischen dem Sigmundskroner Protest und der Feuernacht rückte Südtirol zunehmend in das Blickfeld →überregionalen Interesses. Seit dem Staatsvertrag (1955) brachte sich Wien weit intensiver als bisher in die Südtirol-Frage ein. Nach erfolglosen österreichischen Interventionen in Rom konfrontierte der sozialistische Außenminister Bruno Kreisky die Vereinten Nationen mit den unbefriedigenden Verhältnissen in Südtirol. 1960/61 ermahnte schließlich die UNO-Vollversammlung beide Vertragsparteien mehrfach, auf eine konsensuelle Umsetzung des Pariser Abkommens hinzuarbeiten.Nach den zahlreich gescheiterten diplomatischen Initiativen sowie infolge der unverkennbaren Radikalisierung sollte es ein neu geschaffenes Gremium endlich richten: Die sogenannte Neunzehnerkommission wurde am 1. September 1961 eingesetzt. Sie beendete ihre Arbeit im April 1964 mit einem Bericht, der die Zustimmung der beiden Außenminister –Bruno Kreisky und Giuseppe Saragat –fand. Dieses erste Paket mit Autonomiebestimmungen scheiterte zunächst allerdings am Widerstand der SVP, die es als unzureichend ablehnte. Der entscheidende Fortschritt in den festgefahrenen Autonomieverhandlungen war schließlich der Verständigungspolitik zu verdanken, die sich seit 1963 im Rahmen der von Aldo Moro geführten italienischen Mitte-links-Koalition Bahn brach. Die veränderten politischen Rahmenbedingungen läuteten eine neue Phase der Autonomiepolitik ein, an deren Ende ein ausverhandeltes Kompendium von insgesamt 137 Maßnahmen zur Umsetzung der Autonomie stand. Die als „Paket“ in die Geschichte eingegangene Verhandlungslösung wurde auf der außerordentlichen SVP-Landesversammlung vom 22. November 1969 mit einer knappen Mehrheit von 52,8 Prozent angenommen. Nun war der Weg frei für das Zweite Autonomiestatut, das am 20. Jänner 1972 in Kraft trat und die Grundlage der heutigen umfassenden Autonomie Südtirols darstellt.

Das Prinzip einer „dynamischen Autonomie“ zielt darauf ab, die errungene Autonomie und die Entscheidungsbefugnisse des Landes weiter auszubauen.

Das Zweite Autonomiestatut

Das Statut sicherte der nunmehrigen „Autonomen Provinz Bozen-Südtirol“ eine ganze Reihe von primären Kompetenzen in zentralen Bereichen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens, der Schule und Kultur sowie der öffentlichen Verwaltung. Insbesondere die autonome Ausgestaltung der Schule, die Pflicht zur Zweisprachigkeit sowie die Einführung des „ethnischen Proporzes“, der eine Sprachgruppen-paritätische Besetzung der Stellen im öffentlichen Dienst garantierte, sollten fürdie neue Südtirol-Autonomie prägend werden.Zur Umsetzung der einzelnen Maßnahmen des Zweiten Autonomiestatuts von 1972 bedurfte es der entsprechenden staatlichen Durchführungsbestimmungen, für die ursprünglich ein knapper Zeitrahmen von zwei Jahren vorgesehen war. Aus zwei Jahren wurden schließlich zwanzig Jahre. Am 19. Juni 1992 erfolgte in New York die Übergabe der sogenannten „Streitbeilegungserklärung“ an UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali. Damit schloss sich ein Kreis: Der über drei Jahrzehnteanhängige Streit um Südtirol wurde vor den Vereinten Nationen beendet.Die erfolgreiche Ausgestaltung der Südtirol-Autonomie infolge des Zweiten Autonomiestatuts traf auf große Zustimmung; international galt sie vielfach als nachahmenswerter Modellfall der konsensual-verhandlungsbasierten Lösung eines Minderheitenproblems. Nichtsdestotrotz traf sie in Südtirol selber aber auch auf Skepsis und Kritik –teilweise aus diametral entgegengesetzten Gründen: Nach 1972 gab es weiterhin Kreise innerhalb des volkstumspolitischen Lagers, die sich mit der Autonomielösung nicht abfinden und erneut auf eine Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechtes hinarbeiten wollten. Eine inhaltlich ganz anders gelagerte Kritik kam aus dem interethnisch-alternativen Lager um Alexander Langer, das insbesondere auf die Gefahr der ethnischen Separation und der Verfestigung sich abschottender Parallelgesellschaften hinwies. Und schließlich führten die neuen Autonomiebestimmungen auch unter den italienischsprachigen Südtirolern fallweise zu Befürchtungen und Ängsten. Das aufkommende Gefühl, an den Errungenschaften und Vorteilen der Autonomie nicht wirklich partizipieren zu können und das sich verstärkende Bewusstsein, mittlerweile selbst eine Art Minderheit im Land darzustellen, wuchs seit den späten 1970er Jahren an und zog ein diffus empfundenes Unbehagen (den sogenannten „disagio“) nach sich.

 

„Dynamische Autonomie“

Mit der Streitbeilegungserklärung von 1992 wurde also das neueste Kapitel Südtiroler Autonomiegeschichte aufgeschlagen. Unterdem von 1989 bis 2014 regierenden Landeshauptmann Luis Durnwalder rückte immer mehr das Prinzip einer „dynamischen →Autonomie“ in den Mittelpunkt, das darauf zielte, die errungene Autonomie und die Entscheidungsbefugnisse des Landes weiter auszubauen. Ein Weg, der vom amtierenden Landeshauptmann Arno Kompatscher fortgesetzt wird.Parallel dazu geriet in den letzten zwei Jahrzehnten seit der Jahrtausendwende ein politischer und gesellschaftlicher Diskussionsprozess über die Weiterentwicklung der Autonomie unter veränderten regionalen, nationalen und globalen Rahmenbedingungen in Gang. Die schon im Autonomiekonvent vor einigen Jahren thematisierte Frage, wie zeitgemäß die Südtirol-Autonomie noch sei, in welchen Bereichen Verbesserungs-bzw. Veränderungsbedarf herrsche und ob all diese Überlegungen in eine Art Drittes Autonomiestatut zu überführen wären, wird die Südtiroler Politik und Gesellschaft wohl auch noch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten beschäftigen.

Oswald Überegger ist Euregio-Stiftungsprofessor und Direktor des Kompetenzzentrums für Regionalgeschichte an der  Unibz.
Oswald Überegger ist Euregio-Stiftungsprofessor und Direktor des Kompetenzzentrums für Regionalgeschichte an der Unibz.

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