Jeden Tag für die Zukunft
Im Strategiepapier „Everyday for future“ hat das Land Südtirol aufgeschrieben, was es unter Nachhaltigkeit versteht und wie es sich den Weg dahin vorstellt.
Der Name ist Programm: „Everyday for future – Gemeinsam für die Nachhaltigkeit“ heißt das Strategiepapier, das die Landesregierung am 20. Juli dieses Jahres verabschiedet und drei Tage später der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Die Kernbotschaft: Unser Ziel ist eine nachhaltige Entwicklung. „Gemeinsam“ verdeutlicht, dass die Landesregierung diesen Weg mit der Bevölkerung gehen will. Und „Jeden Tag für die Zukunft“ macht klar: Der Weg ist lang. Es braucht viele Schritte. Indirekt auch: Es wird nicht einfach.
Was aber versteht die Landesregierung unter „Nachhaltigkeit“? Welche Ziele steckt sie sich? Und wie will sie diese erreichen? Genau diese Fragen soll das auf 36 Seiten zusammengefasste Strategiepapier „Everyday for future“ erklären.
Die fünf Ziele
Eingeleitet wird das Strategiepapier von der Frage, warum eine nachhaltige Entwicklung Südtirols überhaupt nötig ist. „Wir wollen unseren Kindern einen Planeten hinterlassen, auf dem es möglich ist, gut zu leben“, schreibt Landeshauptmann Kompatscher im Vorwort. Vier Seiten später wird klarer, was damit gemeint ist: In fünf Punkten zählt das Strategiepapier auf, dass sich die Voraussetzungen für ein gutes, eigenverantwortliches Leben für die kommenden Generationen im Vergleich zu früher entscheidend geändert haben.
An erster Stelle steht der Klimawandel: „Die gigantische Abgabe von Treibhausgasen verändert ein System, das wir erst erahnen und nur am Rande verstehen. Einfach weitermachen wie bisher wäre mehr als fahrlässig“, kann man hier lesen. Auf nicht erneuerbare Ressourcen verzichten und Treibhausgase vermindern sind einige der genannten Ziele, um auf diesem Weg einer der vielleicht größten Gefahren für die Spezies Mensch entgegen zu treten.
Als zweiten Punkt nennt das Strategiepapier den Erhalt der Artenvielfalt: „Einmal ausgestorben, ist eine Art für immer verloren“, heißt es im Strategiepapier. Möglichst viel artenreiche Fläche sei hier das Ziel.
Bei Nachhaltigkeit denkt man vielleicht weniger an den dritten Punkt – die soziale Sicherung: Doch gerade das soziale Netzwerk gehört für die Menschen zu einem guten Leben. Die grundlegenden Menschenrechte zu respektieren und die kulturelle Vielfalt zu wahren ist auch in Südtirol die Grundlage für ein Leben in Würde.
Das vierte Ziel ist eine „gerechte Verteilung von Ressourcen, Einkommen und Chancen“. Zu große Ungleichheit zwischen den Bevölkerungsgruppen und Altersgruppen schürt Konflikte und verbraucht unnötige viele natürliche Ressourcen. Sozialer Ausgleich wird hier als zentrales Ziel der Nachhaltigkeit definiert.
Schließlich braucht es materiellen Wohlstand – und als Grundlage dafür eine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Im Umbau in eine nachhaltige Gesellschaft sieht das Strategiepapier hier „enorme Chancen für innovative Unternehmen“. Sie können nicht nur gerechte Einkommen erwirtschaften, sondern lassen die Umsetzung weiterer Nachhaltigkeitsziele erst möglich werden. Mit der Herausforderung: Die soziale Marktwirtschaft wird sich mit einer Weiterentwicklung zur „Kreislaufwirtschaft“ teils neu erfinden müssen.
Der internationale Rahmen
Nach der Erläuterung dieser fünf Ziele stellen die Autoren von „Everyday for future“ fest: „Wir sind nicht allein!“ – Gemeint ist damit: Das Land Südtirol hat die Nachhaltigkeit nicht erfunden. Das Bewusstsein, dass es notwendig ist, nachhaltiger zu werden, ist über viele Jahrzehnte, ja Jahrhunderte allmählich gewachsen.
Schließlich hat dies zu einem weltweiten Streben nach mehr Nachhaltigkeit geführt, mit internationalen Konferenzen und Bewegungen wie Fridays for Future, die auch in Südtirol aktiv sind.
„Diese internationalen Bewegungen sind auch für Südtirol von großer Bedeutung“, stellt das Strategiepapier fest. Nicht nur, weil sie für Diskussionen, Ideen und Forderungen sorgen. Internationale Beschlüsse sorgen auch für weltweite Vergleichbarkeit, Leitlinien und einen Rechtsrahmen. Einen sehr klaren Ordnungsrahmen haben die Vereinten Nationen mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen bereitgestellt (siehe Artikel: „Von Armutsbekämpfung bis Zusammenarbeit“).
Ihre Anstrengungen auf diese 17 nachhaltigen Entwicklungsziele auszurichten, dazu hat sich die Landesregierung im März 2019 bekannt. Diese Ziele sind – so das Strategiepapier – die „Leitplanken“, an denen es sich zu orientieren gilt. Allerdings sind für die Südtiroler Realität nicht alle Ziele gleich bedeutend. Auf Ziel 14 – die Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Ozeane, Meere und Meeresressourcen – zum Beispiel haben die Südtirolerinnen und Südtiroler nur einen indirekten Einfluss. Um Südtirol gezielt nachhaltig weiterentwickeln zu können, galt es also, Prioritäten zu setzen. Diese sind nun in sieben strategischen Handlungsfeldern zusammengefasst (siehe Artikel: „Nachhaltigkeit messbar machen„).
Zuhören können
Weiters steht im Strategiepapier: „Menschen möchten über die Entscheidungen, die sie betreffen, informiert sein. Oder mehr noch: Sie wollen bei Entwicklungen mitreden.“ Die Öffentlichkeit bei einem so umfassenden Prozess mitreden zu lassen sieht die Landesregierung als Voraussetzung für den Erfolg. Sie weiß auch: Entscheidungen bewirken Veränderung, und sie werden unterschiedliche Gesellschaftsgruppen unterschiedlich treffen. Es wird also Konflikte geben. Um diese Zukunft gemeinsam zu gestalten, sollen also alle gesellschaftlichen Kräfte mitreden: Bürgerinnen und Bürger, Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft und Nicht-Regierungs-Organisationen ebenso wie aus Politik und Verwaltung.
Das Strategiepapier sagt auch klar: Diese Beteiligung hat auch ihre Grenzen. Sie soll nicht falsche Erwartungen, und somit Frust und Politikverdrossenheit fördern. Um die Gratwanderung zwischen Beteiligungsprozess und Entscheidungen der Politik zu meistern, setzt die Landesregierung auf einen „Partizipationsmix“: Erstens plant sie Umfragen – sogenannte Panelerhebungen unter der Leitung des ASTAT. Zweitens wird es Treffen mit der sogenannten organisierten Öffentlichkeit geben, sprich den Verbänden mit teils großen Mitgliederzahlen aus Wirtschaft, Umwelt, Sozialem und Kultur. Drittens soll auch die „nicht organisierte Öffentlichkeit“ zu Wort kommen, unter anderem können in bestimmten Zeitfenstern alle ihre Meinung auf einer Website zur Nachhaltigkeitsstrategie kundtun. Auch die internen Fachleute der Landesverwaltung sollen den Prozess regelmäßig aus ihrer Sicht bewerten.
Wissenschaftlich begleiten
Auch die Wissenschaft soll mithelfen, die nachhaltige Entwicklung zu beschleunigen. Die gegen Ende dieser LP-Ausgabe beschriebene, neu zu gründende „Allianz für Lehre und Forschung für eine nachhaltige Entwicklung Südtirols“ wird daher die Landesregierung wissenschaftlich begleiten und unterstützen.
Ins Handeln kommen
Mit diesen ausformulierten Handlungsfeldern – sozusagen den sieben übergeordneten Südtiroler Nachhaltigkeitszielen – ist der erste Teil des Strategiepapiers abgeschlossen: Das WAS ist geklärt! Nun geht es um das WIE: Wie kann Südtirol ins Tun kommen?
Zunächst vermittelt das Strategiepapier eine positive Botschaft. Denn auch wenn Südtirol noch nicht dort ist, wo es sein will: „Wir fangen nicht bei Null an.“ Südtirol könne auf viele Erfahrungen und Bestehendes aufbauen. Die Südtiroler Bevölkerung habe in den letzten Jahrzehnten stabile Grundlagen geschaffen. Das Strategiepapier analysiert anhand der drei klassischen Nachhaltigkeitssäulen Soziales, Ökonomie, Ökologie und der ergänzten vierten Säule Kultur, wo Südtirol derzeit steht. Ziel ist es, in allen Bereichen aufbauend auf dem Geleisteten nun gezielt und systematisch immer nachhaltiger zu werden.
Wie diese Umsetzung erfolgen soll, genau damit hat sich die Landesregierung zusammen mit der Landesverwaltung seit der Vision von 2019 auseinandergesetzt (siehe Infobox: „Die Schritte zur Nachhaltigkeitsstrategie“). Herausgekommen sind vier große Maßnahmen.
Um zu erkennen, ob sich das Land nun wirklich nachhaltig weiterentwickelt, muss man das Davor und Danach vergleichen können: Es braucht also verlässliche Daten. Das Land Südtirol verpflichtet sich daher als erste Maßnahme, seine Entwicklung messbar zu machen. Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen bilden dazu den international vergleichbaren Rahmen. Das Landesstatistikinstitut ASTAT dagegen hat die Aufgabe übernommen, die in Südtirol vorhandenen Daten zu erfassen und ständig mehr Werte und Zielsetzungen einfließen zu lassen.
Alle Ressorts sind gefordert
Schließlich sind die Ressorts in der Landesverwaltung jene Orte, an denen die Entscheidungen der Politik in konkretes Handeln übersetzt werden. Die Nachhaltigkeit betrifft als Querschnittsthema dabei nicht ein einzelnes, sondern alle Ressorts. Daher gibt es auch nicht einen eigenen Landesrat für Nachhaltigkeit. Stattdessen gibt es im Büro des Landeshauptmanns einen Koordinator und in jedem Ressort eine verantwortliche Person, die in diesem Zuständigkeitsbereich die nachhaltige Entwicklung vorantreiben soll. Welche Ziele und Prioritäten das jeweils sind, zählt das Strategiepapier im vorletzten Kapitel auf.
Konkrete Verpflichtungen
Das Strategiepapier verweist im letzten Abschnitt auch darauf, dass es das Ziel ist, möglichst viele neue Maßnahmen zu ergreifen. Gleichzeitig haben die Landesregierung und Landesverwaltung auch analysiert, welche Vorhaben bereits jetzt dem Ziel nach mehr Nachhaltigkeit dienen oder entsprechend verbessert werden können.
Herausgekommen sind mehr als 80 Verpflichtungen, die zu einem kleinen Teil bereits umgesetzt sind, zu einem größeren aber gerade umgesetzt werden oder konkret geplant sind: Eine Liste, die sich zeitlich vom laufenden Jahr 2021 bis 2030 über ein ganzes Jahrzehnt erstreckt. Sie soll um viele, weitere Maßnahmen ergänzt werden, damit Südtirol seinen Weg zum Land der Nachhaltigkeit vollkommen schaffen und seinen Fußabdruck so reduzieren kann, dass es nicht mehr Ressourcen verbraucht, als die Welt auch hergibt. Ganz in diesem Sinne stellt das Strategiepapier im abschließenden Ausblick fest: „Nachhaltigkeit ist kein Zustand, sondern ein Weg, der vor uns liegt.“
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